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Krim : Ein Ort im Plural

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Frau mit Stalin-Porträt bei einer Kundgebung in Sewastopol nach der Annexion der Krim Bild: AP

Viele Völkerschaften, viele Herrscher. Die Geschichte der Halbinsel ist kompliziert..

          5 Min.

          Ist die Krim ukrainisch oder russisch? Seit 2014 erhitzt diese Frage wieder die Gemüter. Nicht alle können sich wie Google Maps mit einem Trick aus der Affäre ziehen: In Russland wird die Krim als russisch angezeigt, in der Ukraine als ukrainisch, im Rest der Welt erscheint eine gestrichelte Linie zwischen der Halbinsel und dem Festland. Dass schon die Frage falsch gestellt ist, zeigt nun eine neue Geschichte der Krim aus der Feder der Wiener Osteuropahistorikerin Kerstin S. Jobst. In 37 Kapiteln skizziert sie das wechselvolle Schicksal der Halbinsel im Schwarzen Meer. Schon sehr früh zog die Krim mit ihrer günstigen Lage zwischen Meer und Steppe verschiedene asiatische Gruppen wie die Skythen oder Kimmerier an. Bald entsandten griechische Stadtstaaten Kolonisten, die auf der Halbinsel Siedlungen wie Chersones, Theodosia oder Pantikapaion (Kertsch) gründeten. Selbstverständlich betrachteten sich die Hellenen als Vertreter einer Hochkultur, die der Lebensweise der Barbaren überlegen war. Im 1. Jahrhundert v. Chr. wurde aber auch die griechische Herrschaft durch die Expansion Roms verdrängt. Wegen der peripheren Lage im Imperium fiel das römische Engagement allerdings zurückhaltend aus. Mit dem Niedergang des Römischen Reichs gelangten neue Migranten auf die Krim, deren Herkunft nicht immer genau geklärt ist: Goten, Sarmaten und Chasaren.

          Bis zum 10. Jahrhundert weist die Krim also bereits eine bewegte Siedlungsgeschichte auf, in der die Slawen allerdings keine Rolle spielen. Umso mehr wird aber heute im Kreml unterstrichen, dass die Christianisierung Russlands hier ihren Anfang nahm. Präsident Putin verstieg sich in einer Rede zur „Wiedervereinigung“ sogar zur Aussage, die Krim sei den Russen so heilig wie der Tempelberg den Juden. 988 ließ sich Wladimir, der Großfürst der Kiewer Rus, in Chersones taufen und heiratete die Schwester des Kaisers von Konstantinopel. Natürlich haben patriotische Historiker in Russland und der Ukraine diese Episode jeweils für sich vereinnahmt – die Kiewer Rus gilt in beiden Nationalgeschichten als erste Ausprägung und damit als Vorläufer des heutigen Staats.

          Im Mittelalter wurde die Krim Schauplatz einer erbitterten Rivalität der beiden Kolonialmächte Venedig und Genua. Allerdings kam auch von Osten ein Vorstoß. Die Goldene Horde belagerte das genuesische Caffa (Feodosija) im Jahr 1307 acht Monate lang und brannte die Stadt schließlich nieder. Die Krim war zu dieser Zeit bereits zu einem wichtigen Handelsplatz an der Seidenstraße geworden. Die Wirtschaft blühte, aber gleichzeitig kam auch die Pest über die Krim nach Europa. Paradoxerweise konnten die italienischen Kolonien auf der Krim langfristig ökonomisch von der Pest profitieren: In Europa waren durch das Massensterben Arbeitskräfte rar geworden. Damit wurde die Nachfrage nach Sklaven aus dem Schwarzmeerraum verstärkt, und die Umschlagplätze auf der Krim florierten.

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