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Kirchenkampf : Politischer und kirchlicher Multiplikator

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Bronzeglocke mit Hakenkreuz Bild: dpa

Viele Christen erkannten erst, mit wem sie es zu tun hatten, als die Nazis schon an der Macht waren.

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          „DNVP und NSDAP müssen Hand in Hand gehen.“ „Wir wissen alle, dass Deutschlands Aufstieg nicht möglich ist, ohne die starken Bataillone der Nationalsozialisten“ – diese klare Unterstützung der Nationalsozialisten betrieb 1932 der einflussreiche Funktionär der Deutschnationalen Volkspartei Karl Koch (1876–1951). Koch bewunderte das Bekenntnis der Nationalsozialisten zu Volk und Vaterland, die er selbst als höchste Güter auf Erden verstand. Koch war während der Weimarer Republik nicht nur einfaches Mitglied der DNVP, sondern Vorsitzender des Landesverbandes Westfalen-Nord, Mitglied des Parteivorstandes sowie von 1919 bis 1933 Abgeordneter des Preußischen Landtages und von 1930 bis 1932 auch des Reichstages. Er wirkte an der Harzburger Front im Oktober 1932 mit, durch die Adolf Hitler salonfähig wurde und an politischem Gewicht gewann.

          Koch sah sich mit den Nationalsozialisten in der gemeinsamen Gegnerschaft zu den Sozialdemokraten und der Ablehnung der Republik verbunden. Seiner Meinung nach habe der Staat durch die Säkularisierung die Deutschen in eine seelische Notlage manövriert. Die Kanzlerschaft Hitlers könne die christliche Kirche wieder zum Fundament der deutschen Nation werden lassen. Und das war ihm wichtig: Karl Koch war nicht nur Politiker, sondern im Hauptamt evangelischer Pfarrer in Bad Oeynhausen und seit 1927 Superintendent des Kirchenkreises Vlotho und Präses der westfälischen Provinzialsynode.

          Obwohl Koch eine Regierungsverantwortung der NSDAP befürwortete, lehnte er deren Kirchenpolitik und deren kirchenpolitische Gruppierung, die Deutschen Christen, vehement ab. Sosehr Karl Koch phasenweise zwischen Politik und Kirche hin und her zu schwanken drohte: seine politische Erfahrung in der Weimarer Republik und seine Kenntnis der führenden Personen in der NSDAP ließen ihn im „Dritten Reich“ zum erfahrenen Kirchenpolitiker werden, der sich geschickt für die Bekennende Kirche einsetzte.

          Nach der Auflösung der Provinzialsynode im März 1934 war Koch Präses aller westfälischen, altpreußischen und Reichsbekenntnissynoden, u. a. in Barmen und in Dahlem. Von 1934 bis 1939 war er Vorsitzender des westfälischen Bruderrates, bis 1936 auch des Bruderrates der Kirche der Altpreußischen Union; 1936 übernahm er die Befugnisse der Geistlichen Leitung außer für deutschchristliche Gemeinden und Pfarrer. Von 1945 bis zu seinem Ruhestand 1949 amtierte er wieder als Präses der Provinzialsynode und betrieb erfolgreich die Bildung der selbständigen Evangelischen Kirche von Westfalen.

          Über Karl Koch ist trotz seiner überregionalen Bedeutung bislang wenig wissenschaftlich gearbeitet worden. Nach einer Würdigung Wilhelm Niemöllers aus den fünfziger Jahren hatte vor allem Heike Koch in Aufsätzen die Auseinandersetzung mit Karl Koch neu belebt und dessen Wirken als Politiker ins Zentrum gerückt. Sehr erfreulich ist, dass nun mit der politikwissenschaftlichen Dissertation von Martin Arends, die Joachim Perels in Hannover betreut hat, endlich eine Monographie zu diesem einflussreichen Kirchenpolitiker vorliegt.

          Chronologisch stellt Arends detailliert und dicht belegt Kochs Wirken im „Dritten Reich“ dar. Dabei verbindet er konsequent die regionale und überregionale Ebene des Kirchenkampfes. Gegliedert ist die Untersuchung nach bedeutenden kirchlichen Ereignissen. Dabei arbeitet der Verfasser heraus, dass Koch das antijudaistische Gedankengut seiner Zeit teilte, allerdings weitgehend auf antisemitische Äußerungen verzichtete. Die Einführung des Arierparagraphen in der Kirche bedeutete für ihn sogar den status confessionis. Koch war einer der wenigen Kirchenführer, die dem Pfarrernotbund beitraten. Dennoch war er 1935 strikt dagegen, die „Judenfrage“ auf der Bekenntnissynode in Berlin-Steglitz zu thematisieren. Mehr noch: 1938 konnte er sich nach dem Novemberpogrom nicht zu einem öffentlichen Protest gegen die antisemitische Gewalt durchringen.

          Sicherlich ist es richtig, dass die Jahre zwischen 1933 und 1945 die zentrale kirchliche Wirksamkeit Karl Kochs darstellten. Dennoch wäre es auch zum Verständnis seiner Persönlichkeitsentwicklung wichtig gewesen, mehr über seinen Werdegang und seine Prägungen, insbesondere im Studium, zu erfahren. Welche akademischen Lehrer und welche theologischen Konzepte beeinflussten ihn? Wie agierte der Politiker Koch? Hier liegen die Schwächen dieser an sich verdienstvollen quellennahen Studie – eine umfassende Biographie des viel zu wenig beachteten politischen und kirchlichen Multiplikators hätte zu dessen Verständnis und zur Erklärung der kirchenpolitischen Entwicklung vor und nach 1933 weitaus mehr beitragen können.

          Darüber hinaus verzichtet der Verfasser leider auf eine zusammenfassende Einordnung am Schluss seiner detaillierten Darstellung. Dadurch fehlen klare Linien und eine präzise Verortung Kochs im Kontext der kirchlichen Zeitgeschichte. Für die Kirchenkampfgeschichtsschreibung ist ein wichtiger Baustein vorgelegt worden – eine umfassende Biographie Karl Kochs als Beitrag zur Gesellschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts bleibt jedoch weiterhin ein Desiderat.

          Martin Arends: „Die Zeit des Bekennens ist gekommen!“. Präses Karl Koch und seine Rolle im Widerstand der Bekennenden Kirche gegen das Dritte Reich.

          Edition coram deo,

          Arpke 2017. 492 S., 14,90 .

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