KGB-Seilschaften : Putins Leute
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Das ehemailge Hauptgebäude des KGB. Bild: AP
Aufschlussreiches über Russlands Herrscher und seine Freunde - nur Gerhard Schröder bleibt merkwürdig blass.
Wladimir Putin ist kein Alleinherrscher. Er ist als russischer Präsident zum Gesicht und Kopf eines Netzwerks ehemaliger Agenten des sowjetischen Geheimdienstes KGB geworden, das seine Anfänge in den letzten Jahren der Sowjetunion hat und mit Putins Aufstieg in das höchste Staatsamt an die Macht in Russland zurückgekehrt ist. Dieses Netzwerk ist das Thema von Catherine Beltons lesenswertem Buch „Putin’s People. How the KGB took back Russia and then took on the West“. Die ehemalige Moskau-Korrespondentin der britischen Zeitung „Financial Times“ zeichnet nach, wie es in den Perestrojka-Jahren entstanden ist, wie es in den neunziger Jahren eine Niederlage nach der anderen erlebte und mit welchen Methoden es schließlich die Chance zur Revanche an seinen Gegnern inner- und außerhalb Russlands ergriff.
Der KGB wusste besser als jede andere Organisation darüber Bescheid, wie schlecht es um die Sowjetunion in den Jahren vor ihrem Ableben stand. Und zugleich waren seine Auslandsagenten diejenigen in der sowjetischen Elite, die die meiste Erfahrung mit dem real existierenden Kapitalismus hatten. Das hatte zur Folge, dass ein Teil des KGB allerlei Überlegungen zu Reformen des sowjetischen Systems anstieß. Viele der in wissenschaftlichen Instituten der Sowjetunion betriebenen Gedankenspiele über marktwirtschaftliche Elemente und ein klein wenig mehr Demokratie innerhalb des Sowjetsystems, die KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow in der Perestrojka ab Mitte der achtziger Jahre zu verwirklichen versuchte, sind mit freundlicher Förderung durch den KGB möglich gewesen. Es war kein Zufall, dass ausgerechnet der ehemalige KGB-Chef Jurij Andropow in seiner kurzen Amtszeit als Staats- und Parteichef Anfang der achtziger Jahre versuchte, Veränderungen anzustoßen, und den Reformer Michail Gorbatschow förderte. Gleichzeitig zogen andere Kräfte im Geheimdienst aus ihrem Wissen um die Schwäche der Sowjetunion den Schluss, sich auf den Zusammenbruch jenes Systems vorzubereiten, das sie verteidigen sollten. Seit Mitte der achtziger Jahre begannen sie, über eine Vielzahl von Firmengründungen im westlichen Ausland große Vermögenswerte aus der Sowjetunion herauszuschaffen, die ihnen persönlich den Start in eine neue Zukunft erleichtern und zugleich das Agentennetz am Leben erhalten sollten.
Der KGB hielt auch seine schützende Hand über die ersten privatwirtschaftlichen Versuche Ende der achtziger Jahre, bei denen viele jener Männer, die als Oligarchen in den neunziger Jahren die russische Politik bestimmen sollten, den Grundstock für ihre gigantischen Vermögen schufen. Die unter Aufsicht des KGB entstandene neue Klasse von Geschäftsmännern verdrängte Mitte der neunziger Jahre die alten Geheimdienstseilschaften aus dem Zentrum der Macht – bis einige von ihnen, in der irrigen Meinung, ihn kontrollieren zu können, Ende der neunziger Jahre den ehemaligen KGB-Mann Wladimir Putin zum Präsidenten machten. Unter seiner Ägide eroberte dieses Netzwerk zunächst die verlorenen Positionen in Russland systematisch zurück, bis er und seine Mitstreiter sich gegen Ende der nuller Jahre stark genug fühlten, auch den verdeckten Kampf gegen den Westen wiederaufzunehmen, den sie in den achtziger Jahren angesichts der absehbaren Niederlage eingestellt hatten.
Catherine Belton schildert die entscheidenden Etappen dieser Geschichte auf der Grundlage zahlreicher Gespräche mit unterschiedlichen Beteiligten. Sie hat Männer zum Reden gebracht, bei denen man nicht unbedingt erwarten würde, dass sie reden wollen. Mit vielen Details entwickelt sie ein lebendiges Bild der wirtschaftlichen und politischen Umbrüche, die Russland in den vergangenen 30 Jahren erlebt hat. Die Bedeutung informeller Beziehungen, das eigenartige Bündnis zwischen Staatsgewalt und organisierter Kriminalität, die aus einer systematischen Vermischung von öffentlichen Angelegenheiten und privatem Geschäftsinteresse resultierende Gier, die Skrupellosigkeit bei der Wahl der Methoden, die Neigung zu Verschwörungstheorien – all das, was für Machtzirkel in Putins Russland charakteristisch ist, schildert Belton überaus spannend aus dem zeitlichen und wirtschaftlichen Kontext heraus.
Gerade eine der Stärken des Buches wird indes an manchen Stellen zu seiner größten Schwäche, denn Beltons Gesprächspartner sind in vielen Fällen problematische Quellen. Die größte Auskunftsbereitschaft zeigen – aus nachvollziehbaren Gründen – ehemalige Insider, die irgendwann aus dem Spiel geflogen sind und nun versuchen, sich in einem möglichst günstigen Licht darzustellen; viele von Beltons Quellen zogen es – aus ebenso nachvollziehbaren Gründen – vor, anonym zu bleiben. Mitunter folgt sie zu bereitwillig der Neigung solcher Kontakte zu Spekulationen über geheime Verbindungen zwischen Ereignissen und Personen. Das ist etwa am Anfang des Buches der Fall, als sie Putins Aktivitäten in seiner Zeit als KGB-Resident in Dresden mit der linksterroristischen RAF in Verbindung bringt, oder am Ende, wenn es um die geschäftlichen Verbindungen Donald Trumps mit zwielichtigen Russen geht.
Und schließlich ist man verwundert, dass Gerhard Schröder auf gut 500 Seiten nur einmal erwähnt wird, obwohl Belton sowohl den Beziehungen Putins zu Deutschland als auch Schröders Arbeitgeber, dem Ölkonzern Rosneft, viel Raum widmet. Dabei spräche viel dafür, sich mit dem ehemaligen Bundeskanzler zu befassen: Sein Fall könnte als vermutlich prominentester Beleg für Beltons These dienen, dass das alte KGB-Netzwerk systematisch versuche, Politik und Wirtschaft Westeuropas zu korrumpieren. Dem Buch sind dennoch eine deutsche Übersetzung und viele Leser hierzulande zu wünschen. Denn es kann mit großem Faktenreichtum einige Illusionen über Putins Regime beseitigen, die in Deutschland noch immer verbreitet sind.
Catherine Belton: Putin’s People. How the KGB took back Russia and then took on the West.
Harper Collins Publishers, London 2020. 624 S., 25,– £.