Ende einer Ära : Mehr Schein als Sein
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Das Logo des deutschen Bundesnachrichtendienstes BND am Eingang des Hauptsitzes in Berlin. Bild: dpa
Reinhard Gehlen war die prägende Gestalt des frühen BND. Das erschwerte seinem Nachfolger das Leben sehr.
Mit den sechziger Jahren verbinden wir gemeinhin die Aufbruchstimmung in der Jugendkultur, Wohlstand mit Konsum und Tourismus, die Studentenproteste und „1968“. Weniger deutlich sind die Konturen des Jahrzehnts dort, wo es um Reform und Modernisierung der staatlichen Verwaltung und den allmählichen Wandel im Politikstil ging. Merkdaten der westdeutschen Geschichte sind der Bau der Berliner Mauer und die „Spiegel“-Affäre, gefolgt von den Auseinandersetzungen um die Notstandsgesetze. Es war die Zeit des Übergangs von den unionsgeführten Regierungen unter Adenauer und Erhard zur Großen Koalition 1966/69 und zur sozialliberalen Koalition unter Brandt und Scheel 1969. Welch krisenhafter Wandel sich in dieser Zeit hinter den Kulissen des Regierungsapparats vollzog, zeigt Jost Dülffers Studie über den Bundesnachrichtendienst im Übergang von Adenauer zu Brandt.
Das Buch entstand im Rahmen des Forschungsauftrags der „Unabhängigen Historikerkommission“ (UHK), die seit 2011 die Geschichte des Dienstes in der Ära des ersten Präsidenten Reinhard Gehlen (1956–1968) untersucht. Ungehinderter Zugang zu allen erforderlichen Archivalien ermöglicht neue Einsichten. Nach der Biographie Gehlens von Rolf-Dieter Müller gibt Dülffer jetzt einen vertieften Einblick in die Organisationsgeschichte und die Arbeit des BND.
Akten des Nachrichtendienstes und die Nachlässe von Mitarbeitern, Quellen des Deutschen Bundestags, des Bundesarchivs und der Parteistiftungen von SPD und CDU/CSU, ergänzt um Materialien des ,Spiegel’, der „Zeit“ und des amerikanischen Geheimdienstes CIA ermöglichen es dem Autor, die Geschichte erstmals detailgenau zu beschreiben. Dülffer analysiert die funktionale Einbettung des BND in die Behördenstruktur des Bundes und beschreibt die parlamentarische Kontrolle, die Haushaltskontrolle und die gesetzliche Regelung der Post- und Fernmeldeüberwachung. Es entsteht ein tiefenscharfes Bild vom immer noch unfertigen Zustand des Verwaltungsaufbaus der Bundesrepublik in den frühen sechziger Jahren und der ungefestigten Position des Nachrichtendienstes darin. Kanzleramt und Bundestag fanden erst langsam heraus, wie der BND sinnvoll einzubinden sei, der Dienst selbst musste nach den Anfängen unter amerikanischer Überwachung den Ausbau seiner Behördenstruktur im Einvernehmen mit dem Bundeskanzleramt bewerkstelligen. Der Chef des Dienstes war dieser Aufgabe aber nicht gewachsen. Nicht zuletzt daraus entstand die „Krise“ des BND in den sechziger Jahren.
Anfänglich genoss Gehlen im Bundeskanzleramt, auch bei Adenauer, hohes Ansehen, auch wenn der Kanzler den geltungsbedürftigen Nachrichtenoffizier der Wehrmachtsabteilung „Fremde Heere Ost“ nicht mochte. Mit dem Respekt war es 1961 vorbei. Viel zu spät hatte Gehlens Geheimdienst einige wenige Informationen über den bevorstehenden Bau der Berliner Mauer gewinnen können. Dann wurde ein hoher Mitarbeiter des BND als Sowjetagent enttarnt – ausgerechnet der Leiter der Gegenspionage, dessen Aufgabe darin bestand, das Eindringen von Spionen aus dem Ostblock abzuwehren. Damit nicht genug, galt dieser Heinz Felfe, ein ehemaliger SS-Obersturmführer, auch noch als enger Vertrauter Gehlens. 1962 schließlich stellte sich heraus, dass der BND in die „Spiegel“-Affäre verwickelt war und Informationen an das Hamburger Magazin gegeben hatte. Adenauer hielt Gehlen seither für illoyal, bezichtigte ihn des Verrats und der Lüge. Hinzu kamen Hinweise, dass zahlreiche Mitarbeiter des BND bis 1945 im Reichssicherheitshauptamt, dem Zentrum des SS-Terrorsystems, gearbeitet hatten. Auf den Vertrauensverlust des Bundeskanzlers und des Kanzleramts reagierte Gehlen mit einer Strategie, den BND in der westdeutschen Innenpolitik sichtbar zu machen und ihn sowohl im Bundestag als auch in den Medien als besonders effizienten, erfolgreichen Geheimdienst erscheinen zu lassen.