https://www.faz.net/aktuell/politik/politische-buecher/die-geglueckte-revolution-die-partei-mit-einem-geheimen-helden-13486705.html

Die geglückte Revolution : Die Partei mit einem geheimen Helden

  • -Aktualisiert am

Mit der These, dass durch das Kriegsrecht weniger die praktische Politik als vielmehr das politische Denken einschneidend verändert wurde und zwei bisher verfeindete Diskurse sich einander annäherten, greift die Autorin in eine ausgedehnte, kontroverse Diskussion in Polen ein. Aus einem Bündel von Überzeugungen entwickelte General Wojciech Jaruzelski nach ihrer Meinung seine Politik des Dialogs mit der Gesellschaft: „Während des Kriegsrechts kristallisierte sich in der Parteispitze ebenso wie bei der linken Opposition paradoxerweise die Überzeugung heraus, dass man zueinander verurteilt sei.“

Aus dieser Konstellation lässt sich dann folgerichtig der Runde Tisch als Ausdruck für einen Zustand ableiten, in dem „Realisten“ an die Macht kamen. Die Politik des Runden Tisches war bekanntlich auch nach dessen Erfolg umstritten und führte zum Vorwurf des rechten Flügels der Opposition an die Linke, sie habe die Ideale der Solidarność verraten und keine konsequente „Entkommunisierung“ betrieben. Jaroslaw Kaczynski und Mazowiecki lassen sich als die Antipoden dieser „neuen agonistischen Konstellation“ benennen. Auch diese „Nachgeschichte“ des Umbruchs von 1989 wird noch eingehend erörtert.

Vieles aus der Geschichte der polnischen Opposition ist bekannt. Aber hier werden für deutsche Leser neben den Debatten im KOR auch die in der PVAP minutiös nachgezeichnet. Mieczyslaw Rakowski, Herausgeber der „Polityka“ und unter Jaruzelski zunächst stellvertretender, dann letzter Ministerpräsident, wird hier, so der Eindruck des Rezensenten, als der geheime Held in der Partei interpretiert, weil er frühzeitig auf Dialog mit der Opposition setzte, für Öffnung und Reform eintrat und in Jaruzelski den vielleicht einzigen starken Mann sah, der Polen vor dem Ruin retten und einer reformierten Partei wieder auf die Beine helfen konnte. Für die Endphase des kommunistischen Regimes kommt Rakowski, der nach eigenen Worten einen „aufgeklärten Absolutismus“ verfocht, eine herausgehobene Rolle zu, wie sich nicht zuletzt anhand seiner umfänglichen Tagebücher zeigen lässt. Sein reformorientierter Kurs hielt Abstand von der Erfolgspropaganda, übte Zurückhaltung gegenüber der politischen Opposition und betonte die notwendige Erweiterung der Bürgerrechte, forderte aber ebenso den unverzichtbaren Respekt des Bürgers gegenüber dem sozialistischen Staat ein.

Es ist ein großes Verdienst dieser vielfach sehr ins Detail der Namen und Debatten gehenden Studie, die oft verkürzte Vorgeschichte von 1989 wieder in ihren vielfältigen Facetten vorgestellt zu haben, indem die oppositionellen und keineswegs einheitlichen Diskurse, aber eben auch die in der „führenden Partei“, eindrucksvoll und differenziert nachgezeichnet werden. Die Lernprozesse in der Veränderung der Konzepte „des Politischen“ dauerten lange und waren höchst widersprüchlich. Insofern geben die von der Autorin anhand zahlloser Artikel und Bücher untersuchten Diskurse einen ebenso faszinierenden wie verwirrenden Einblick in verschiedene Formen von Öffentlichkeit und Teilöffentlichkeiten im Polen der 1980er Jahre, aber auch noch nach der friedlichen Revolution.

Die Thesen und Interpretationen von Agnieszka Zaganczyk-Neufeld werden vermutlich Widerspruch hervorrufen. Dass der Erklärungswert von Diskursanalysen begrenzt bleibt, zumal von der anhaltenden Gewalt der Miliz kaum die Rede ist, wird im (sehr knappen) Fazit des Buches angedeutet. Aber indem neben den Oppositionellen auch die altera pars hier ihre Verteidigung findet, wird die Entwicklung, die in eine geglückte Revolution einmünden konnte, umfassender und komplexer dargestellt.

Agnieszka Zaganczyk-Neufeld: Die geglückte Revolution. Das Politische und der Umbruch in Polen 1976-1997. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2014. 454 S., 44,90 €.

Weitere Themen

„Fehler ist immer so ein großes Wort“

Laumann zu Corona-Aufarbeitung : „Fehler ist immer so ein großes Wort“

Karl-Josef Laumann würde manche Entscheidung der Corona-Jahre heute anders treffen. Es sei richtig, aus der Pandemie Lehren zu ziehen, sagt Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister. Eine Enquetekommission hält er für übertrieben.

Topmeldungen

Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping und Russlands Präsident Wladimir Putin am Dienstag in Moskau

Xi verlässt Moskau : Putins teurer Freund

Die Vereinbarungen mit Xi bleiben vage, doch das Wichtigste für den Kreml ist erreicht: China zeigt, dass es Russland nicht fallenlässt.

Newsletter

Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.