Deutsche und Polen : Symbol der Aussöhnung
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Kanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsidentin Ewa Kopacz 2014 in Kreisau vor dem Erinnerungsbild an die Begegnung Helmut Kohls mit Tadeusz Mazowiecki von 1989 Bild: Reuters
„Kreisau“ ist mehr als ein historischer Ort. Man kann und sollte dort auch nach vorne blicken.
Vom 2. bis zum 4. Juni 1989 fand in Breslau (Wroclaw) eine internationale Tagung statt, organisiert vom polnischen „Klub der Katholischen Intelligenz“ (KIK). Bei dieser Gelegenheit wurde über ein damals noch kühnes Vorhaben diskutiert. Eine internationale Arbeitsgruppe unter Vorsitz des polnischen Historikers Karol Jonca verabschiedete einen Brief an den Außenminister Polens, in dem der Vorschlag der Konferenz dargestellt wurde, eine „internationale Begegnungsstätte der jungen Generation“ und eine „Gedenkstätte der europäischen Widerstandsbewegung gegen Hitlerdeutschland“ einzurichten. Dieser Brief wurde zum Gründungsaufruf der „Stiftung Kreisau für europäische Verständigung“.
Er wurde zu einer Zeit formuliert, als in der DDR erste Zeichen der Gärung erkennbar waren, aber noch politischer Frost herrschte, in Polen jedoch die ersten Hochrechnungen schon auf einen Sieg der Solidarność-Kandidaten bei den halbfreien Sejm-Wahlen hindeuteten, in Peking aber das blutige Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens einen demokratischen Aufbruch zunichtemachte.
Zwar gab es seit dem Warschauer Vertrag von 1970 viele erfolgreiche deutsch-polnische Normalisierungsbemühungen, aber geradlinig verliefen sie keineswegs. Schon der Wunsch, eine Gedenktafel für den im Zusammenhang mit der Verschwörung des 20. Juli 1944 ermordeten Hellmuth James von Moltke auf dem Gelände des früheren Gutes anzubringen, sollte sich in der Volksrepublik Polen als kompliziertes Politikum erweisen. Mit dem Namen Kreisau verbindet sich heute viel: Widerstand gegen die Nazis, Evakuierung, Zerstörung und Verfall der Gebäude, langwierige Schritte zur deutsch-polnischen Versöhnung und politischen Annäherung, Wiederaufbau für eine internationale Jugendbegegnungsstätte.
Insofern ist diese am Historischen Institut der Universität Wroclaw/Breslau entstandene Dissertation mehr als die politische Organisationsgeschichte einer berühmt gewordenen Stiftung. Das auf umfangreichen Quellenrecherchen beruhende Buch ist vor allem in den ersten beiden Teilen ein sehr ergiebiger und spannender Beitrag zu einem relativ wenig bekannten Aspekt der bilateralen und trilateralen deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte. Denn auch die DDR war hier in einer Weise beteiligt, die im Westen nur wenigen bekannt war oder erst spät bekannt gemacht werden konnte.
Der Name Ludwig Mehlhorn, der sich zusammen mit Günter Särchen in der „Aktion Sühnezeichen“ engagierte, ist hier besonders zu nennen. Er repräsentierte neben anderen die zivilgesellschaftliche Komponente eines ostdeutschen Versöhnungsimpulses, der ebenfalls eine lange Geschichte hatte und für den schließlichen Erfolg des Kreisau-Projekts eine erhebliche Rolle spielte. Darin wird die Hauptthese der Verfasserin sichtbar: Nur durch die ost- und westdeutschen ehrenamtlichen Bemühungen wurde die internationale Begegnungsstätte, wie wir sie heute kennen, möglich. Natürlich kamen viele weitere Faktoren hinzu: Vor allem der politische Umbruch in Polen 1989, die demonstrative Umarmungs-Geste des deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl und des ersten frei gewählten polnischen Ministerpräsidenten Mazowiecki bei der Versöhnungsmesse in Kreisau am 12. November 1989, die vielfältige Unterstützung des Projekts durch renommierte Namen in Polen und Deutschland – Bartoszewski ist sicher der bekannteste –, die finanziellen Anstrengungen verschiedener Politiker und Stiftungen, schließlich das Engagement Freya von Moltkes, der Witwe des deutschen Widerstandskämpfers, ebenso wie des unermüdlichen polnischen Historikers Karol Jonca. Wer heute das imposante Gelände der Begegnungsstätte besucht, kann sich kaum noch eine Vorstellung machen von der Mühsal und den zähen Konflikten um eine Sicherung der Substanz und damit auch die bauliche Erinnerung an das Gut des Grafen Moltke und den Widerstand des „Kreisauer Kreises“ gegen die Nazis. Einige Fotos im Anhang des Buches geben Eindrücke wieder.
Die Autorin Annemarie Franke war mehrere Jahre Leiterin der Gedenkstätte der Stiftung Kreisau/Krzyżowa, kennt daher deren Geschichte vermutlich besser als alle anderen. Sie zeigt, wie wichtig und erfolgreich hartnäckiges zivilgesellschaftliches Engagement auf diesem historisch schwierigen Gelände sein konnte. Sie sieht auch die Gefahr, zu nahe an ihrem Forschungsgegenstand zu sein, und ist dieser Gefahr mit einem Hang zur kleinteiligen Ausführlichkeit (mit bisweilen allzu vielen Namen, Zitaten aus Reden, Briefen und Stellungnahmen, aber auch aus Tagungsprogrammen und Konferenzen) nicht immer entgangen.
Die Publikation bietet andererseits in ihrer quellennahen Genauigkeit eine Fundgrube für mehrere Phasen deutsch-polnischer Zeitgeschichte, insbesondere die komplizierte Vorgeschichte und die keineswegs einfache Institutionalisierung der Stiftung. Dazu gehörte auch die Diskrepanz zwischen der ersten Aufbruchsstimmung und den unvermeidlichen, nicht zuletzt von staatlicher Finanzierung mitbestimmten Bürokratisierungstendenzen, die manche engagierten Bürgerrechtler schließlich auch enttäuschte, weil vom anfänglichen Pathos des großen europäischen Impulses weniger übrig blieb, als sie gehofft hatten. Für die Autorin bleibt Kreisau gleichwohl zu Recht „ein einzigartiges Beispiel dafür, dass die Zusammenarbeit von zivilgesellschaftlicher Initiative und zwei nationalen Regierungen bei einem gemeinsamen Vorhaben möglich ist“.
Annemarie Franke: Das neue Kreisau. Die Entstehungsgeschichte der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung 1989-1998.
Wißner-Verlag, Augsburg 2017, 379 S., 34,90 .