Atomwaffen : Fast alles schon einmal dagewesen
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Feindbild für viele: Amerikanische Mittelstreckenrakete vom Typ Pershing II. Bild: Picture-Alliance
Das Thema Besitz oder Verfügung über das ultimative Waffensystem zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der „alten“ Bundesrepublik.
Vor dem Hintergrund der wachsenden Skepsis bezüglich der Bündnistreue der Vereinigten Staaten unter Donald Trump und des angespannten sicherheitspolitischen Verhältnisses zu Russland inklusive konventioneller wie nuklearer Aufrüstung und Kündigung bzw. Gefährdung von Abrüstungsverträgen wie INF oder START mag sich manch ein Beobachter heute an die 1980er Jahre und die Nato-Nachrüstungsdebatte erinnert fühlen. Nicht umsonst ist zunehmend vom „Kalten Krieg 2.0“ die Rede, der sich nicht nur auf die Beziehungen Amerikas zu China, sondern wahlweise auch auf diejenigen der Nato zu Russland bezieht. Letzteres erscheint umso gravierender, als Russland mit rund 6500 und die Vereinigten Saaten mit knapp 6200 nuklearen Sprengköpfen noch immer über mehrfache globale Overkill-Kapazitäten verfügen. Angesichts der immer wieder geäußerten drohenden Hinweise Russlands auf die eigenen atomaren Fähigkeiten, der Modernisierungsanstrengungen praktisch aller Atommächte und des drängender werdenden Problems der nuklearen Proliferation kann man behaupten, dass die nuklearstrategische Komponente der Sicherheitspolitik auch für Deutschland wieder klar auf der Agenda steht. Dies gilt, obwohl diese bis auf gelegentliche Proteste gegen die verbliebenen amerikanischen Atombomben auf deutschem Boden (in Büchel in der Eifel) und sporadischen Strohfeuer-Forderungen vereinzelter Wissenschaftler nach deutschen Nuklearwaffen öffentlich kaum thematisiert wird.
Umso spannender ist es, daran erinnert zu werden, dass die Frage nach der direkten oder indirekten Verfügung über Nuklearwaffen für die Bundesrepublik praktisch seit der Wiedererlangung der Souveränität durch den Deutschland-Vertrag und den damit verbundenen Beitritt zum westlichen Bündnis 1955 ein zentrales Element sicherheitspolitischer Diskussionen und Aktivitäten war. Andreas Lutsch legt hierzu eine opulente Dissertation vor. Die Arbeit versteht sich als Beitrag zur „New International Nuclear History“, einem Forschungsfeld in der historischen Forschung zu den internationalen Beziehungen, das seit rund einem Jahrzehnt auf der Basis neu erschlossenen Archivmaterials, internationaler Vergleichsstudien und stärkerer Einbeziehung technologischer und sozialwissenschaftlicher Ansätze und Inhalte die nuklearstrategische und -politische Seite insbesondere des Kalten Krieges neu beleuchten will. Dies ist gerade im deutschsprachigen Raum von besonderer Bedeutung, denn hierzulande ist das Feld der Strategic History als Teil transdisziplinärer Strategic Studies bislang deutlich unterentwickelt.