Dschihadistischer Terror : Wegmarken des Terrors
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Ein Porträt Bin Ladens auf der Rückseite eines Lastwagens mit der Aufschrift „Löwe des Islam“ in Islamabad, Pakistan Bild: AP
Der Islamische Staat war militärisch besiegt. Er gewinnt aber wieder an Boden. El Difraoui zeigt, weshalb wir uns noch lange mit dem Dschihadismus beschäftigen müssen und was wir dagegen tun können.
Das Buch von Asiem El Difraoui ist eine Warnung und ein Weckruf. Eine Warnung ist es, weil der international renommierte Kenner des Dschihadismus überzeugend nachweist, dass diese „todbringende Ideologie, die den gesamten Globus infiziert hat“, keine vorübergehende Erscheinung ist. Und es ist ein Weckruf, weil Difraoui kenntnisreich zeigt, in welch erschreckendem Ausmaß der Dschihadismus als weltweite Bewegung bereits Dutzende von Organisationen umfasst.
Difraoui, ein Schüler des französischen Soziologen und Politikwissenschaftlers Gilles Kepel, vergleicht den Dschihadismus mit der Hydra. Bei diesem mystischen Ungeheuer war schon ein Hauch des giftigen Atems tödlich, und nach dem Zerschmettern eines Kopfes wuchsen zwei neue nach. So sei es auch beim Dschihadismus: „Nach jedem militärischen Sieg wuchsen noch mehr Köpfe aus ihrem totgesagten Leib.“
Der Autor weiß, worüber er schreibt. Seit drei Jahrzehnten recherchiert er als Journalist und Dokumentarfilmer im islamischen Krisenbogen von Afghanistan und Pakistan im Osten bis zum Maghreb im Westen. Sein jüngstes Buch ist eine souveräne Bilanz einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit dem Dschihadismus, und so entstand nebenbei auch eine kleine Geschichte des Nahen Ostens.
Difraoui legt keine bloße theoretisch-abstrakte Abhandlung zur Genese und Ausbreitung des Dschihadismus vor. Die Monographie lebt vielmehr von zahlreichen reportagehaften Einschüben, in denen der Autor von Begegnungen mit Protagonisten, Akteuren und Beobachtern der dschihadistischen Szene berichtet. Sie führten ihn nach Medina, Kairo und Algier, nach Beirut und Damaskus, an zahlreiche Orte im Irak, nach Afghanistan und Pakistan, aber auch nach Paris und London. Er recherchierte an den Orten, an denen die „verlogene Heilslehre des Dschihadismus“ Menschen verführt hat und mit ihrer zerstörerischen Gewalt in den Tod riss. Diese Reportagen veranschaulichen die Thesen Difraouis und verleihen ihnen Glaubwürdigkeit.
Wichtig ist, dass er eingangs begriffliche Klarheit schafft und die drei Begriffe Islamismus, Salafismus und Dschihadismus voneinander abgrenzt, aber auch die Schnittmengen zwischen ihnen benennt. Im ersten Kapitel, der Geschichte des Dschihadismus, zieht er einen weiten Bogen, der von dessen ideologischen Wurzeln im intoleranten wahhabitischen Islam Saudi-Arabiens bis hin zu dessen Globalisierung durch Al-Qaida und den „Islamischen Staat“ reicht, den er nach dessen Akronym Daesch nennt.
Viele extremistische Denker aus der islamischen Welt hätten aus dem Wahhabismus geschöpft, um die Ideologie des Dschihadismus zu schaffen, schreibt Difraoui. Als einen der wichtigsten nennt er den Ägypter Sayyid Qutb. Dessen Überzeugungen und die seiner Nachfolger hätten aber nur auf fruchtbaren Boden fallen können, weil die „Potentaten Ägyptens und anderer arabischer Länder erst die Voraussetzungen“ dafür geschaffen hätten.
Einer von Qutbs Schülern war der Palästinenser Abdallah Azzam, den Difraoui den „Vater des Dschihadismus“ nennt. Er deutete den Begriff des Dschihad als Auftrag zum bewaffneten Kampf und deutete ihn neu. Azzam organisierte den Strom arabischer Freiwilliger nach Afghanistan im Krieg gegen die Sowjetunion und schuf den Grund für das Wirken Bin Ladens. Der Krieg in Afghanistan habe in mehrfacher Hinsicht die Grundlage des Dschihadismus gelegt, schreibt Difraoui: durch die revolutionäre Umdeutung der sunnitischen Kernkonzepte des Dschihad und des Märtyrertums, durch die Schaffung der Ikone Bin Laden und den Gründungsmythos, den Abzug der Sowjets als ihren Sieg, als einen „göttlichen Sieg“ darzustellen.