Russischer Oppositioneller : Gegen den Bruderkrieg
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Zu Ehren der Veteranen: Schlossberg (links) sieht sich einen Tanz junger Mädchen in Russlands Landesfarben an. Bild: Friedrich Schmidt
Der Journalist und Oppositionspolitiker Lew Schlossberg versucht, die Russen zum Frieden zu bewegen. Doch seine Kritik an Präsident Putin bringt ihn in große Gefahr.
In der Geschichte von Moskaus unerklärtem Krieg gegen die Ukraine gebührt Lew Schlossberg ein eigenes Kapitel. Der Oppositionspolitiker und Journalist aus Pskow an der Grenze zu Estland ist 51 Jahre alt, klein von Wuchs, selbst- und sendungsbewusst. Jahrelang arbeitete er als Erzieher mit straffälligen Jugendlichen. Jetzt versucht er, die Russen zum Frieden zu bewegen. Es ist ein Kampf mit ungleichen Mitteln. Ein gefährlicher dazu.
Schlossbergs Heimatstadt mit gut 200.000 Einwohnern ist bekannt für ihren Kreml, Dutzende weiße Kirchen - und für ihre Soldaten. Hier sind die 2. Brigade der Spezialkräfte und die 76. Gardedivision der Luftlandetruppen stationiert. Aus ihren Reihen kamen in jüngster Zeit etliche Soldaten zu Tode. Offiziell erlagen sie einem Infarkt oder Schlaganfall, kamen bei einer Gasexplosion an einem unbekannten Ort ums Leben. Inoffiziell fielen sie in der Ukraine. Schlossberg, der auch Abgeordneter in der Gebietsversammlung von Pskow ist, berichtete in seiner Wochenzeitung „Pskowskaja Gubernija“ darüber. Als erster. Die Ausgabe, die am 25. August erschien, veröffentlichte Bilder von frischen Gräbern auf einem Friedhof nahe Pskow.
Die Fotos zeigen Kreuze, Kränze, Lebensdaten zweier junger Soldaten. Schlossberg schrieb dazu einen Kommentar. Charakteristisch knapp im Stil, entschieden in der Haltung. „Zu uns ist ein echter brudermörderischer Krieg gekommen“, stand da. „Wie viele Getötete es gibt, ist unbekannt. Die Kommandeure streiten alles ab. Das ist unwürdig. Die Familien schweigen, kurze verzweifelte Sätze in sozialen Netzwerken werden unverzüglich gelöscht. Das ist schrecklich.“ Am Ende der Aufruf: „Nur die Lebenden können diejenigen retten, die noch leben.“
„Als Zeichen ihres Heldentums“
An diesem Märztag beschäftigt Schlossberg ein anderer Krieg. Einer, den die Mächtigen im fernen Moskau nicht verschleiern, sondern dessen Ende sie feiern. Schlossberg soll Veteranen des Zweiten Weltkriegs auszeichnen. Des „Großen Vaterländischen Krieges“, so die russische Bezeichnung. Im städtischen Kulturhaus, einem blassgrünen Bau mit Säulen davor am Siegesplatz im Zentrum von Pskow, können sich die Veteranen eine neue Medaille abholen. Zweimal täglich, seit Ende Februar und noch bis zum 70. Jahrestag des Kriegsendes im Mai. Präsident Wladimir Putin hat die Auszeichnung erst vor kurzem gestiftet. Diejenigen, die den Krieg noch erlebt haben, werden in Russland verehrt und geehrt. Als Befreier, als Gründer, als lebende Legenden.
Rund 50 von ihnen sind an diesem Nachmittag ins Kulturhaus gekommen. Vor allem Frauen. Sie sitzen zu beiden Seiten des Mittelgangs in dem schummrigen Saal. Schlossberg kommt gerade rechtzeitig. Er war eben noch bei einer Gedenkveranstaltung für den ermordeten Boris Nemzow, der an diesem Tag im fernen Moskau bestattet wird. Der Abgeordnete gibt Mantel und Mütze an der Garderobe ab, kämmt rasch sein dunkles Haar mit grauen Strähnen, nickt einem Veteranen mit Goldzähnen am Eingang des Saales zu und nimmt in der ersten Reihe Platz. Es wird dunkel, aus den Lautsprechern dankt eine tiefe Männerstimme den Veteranen. Sobald es wieder hell wird, stürmen junge Frauen in kurzen roten Plastikröcken, zylinderartiger Haube auf dem Kopf und viel Gold vor der Brust auf die Bühne und trommeln. „70 Jahre Vaterländischer Krieg“ prangt im Hintergrund auf einem roten Stern. Die Ansagerin im Militärhemd dankt den Veteranen für den „Sieg über die deutschen faschistischen Eroberer“. Sie erhalten dafür ein Stück Kartonpapier mit ihrem Namen darauf, eine Medaille in einer Plastikschachtel und eine Nelke.