
NSU-Prozess : Und in den Fingern der Lottofee
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Die F.A.Z. wurde nicht aus dieser Box gezogen - wie auch andere überregionale Medien nicht. Bild: REUTERS
Das Münchner Gericht, vor dem der NSU-Prozess verhandelt wird, beklagt sich über Angriffe, die „in der deutschen Geschichte ohne Beispiel“ seien. Das beste Beispiel für fehlendes Gespür für die Bedeutung eines wahrhaft beispiellosen Falles liefert das Gericht freilich selbst.
Die alte römische Juristenweisheit, dass man vor Gericht und auf hoher See in Gottes Hand sei, muss nun wohl ergänzt werden um: und in den Fingern der Lottofee. Das galt jedenfalls für alle Zeitungen und Sender, ob von nationaler oder eher kabarettistischer Bedeutung, die sich um einen festen Berichterstatter-Platz im sogenannten NSU-Prozess bemüht hatten. Bei der Verkündung des Auslosungsergebnisses konnte schon die Sprecherin des Gerichts kaum das Lachen halten, obschon der Gerichtspräsident zuvor mit todernster Miene den beispiellosen Satz gesagt hatte, sein Gericht sei Angriffen ausgesetzt gewesen, „die in der deutschen Geschichte ohne Beispiel“ seien.
Ob man zu diesen „Angriffen“ auch die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts zählen soll, die das Münchner Gericht dazu veranlasste, das Verfahren zu wiederholen?
Man wird den Eindruck nicht los, dass hier ein Königlich Bayerisches Oberlandesgericht den Großkopferten in Karlsruhe und diesen Zeitungsschmierern, „die ohne nachhaltige juristische Durchdenkung Rechtsmeinungen zum Teil ungeprüft weiterverbreitet“ und „die Aufgabe des Gerichts nicht verstanden“ haben (Zitate des Gerichtspräsidenten), zeigen wollte, wo der Sitzungshammer hängt: Das habt ihr nun davon. Das Münchner Gericht hätte auch dem Fingerzeig aus Karlsruhe folgen und die erste Auswahl um ein paar Plätze erweitern können. Es wollte aber nicht.
Im Ergebnis, an dem die wegen Schlamperei des Gerichts nötig gewordene Nachverlosung nicht mehr viel ändern wird, können jetzt, wie gewollt, türkische Zeitungen, aber auch Radio Lotte Weimar und Al Dschazira von jedem Prozesstag aus erster Hand berichten, nicht aber große deutsche Blätter, die auch im Ausland verbreitet werden.
Sie sehen, wie diese Zeitung, von Klagen gegen das fehlerhafte und verfassungsrechtlich bedenkliche Verfahren auch deshalb ab, weil erfolgreiche Beschwerden zu einer weiteren Verzögerung des Prozessbeginns führen könnten.
Im In- und Ausland erhofft man sich von diesem Verfahren aber endlich Aufklärung darüber, wie es möglich war, dass eine rechtsextremistische Terroristenbande mordend durch Deutschland ziehen konnte, ohne dass ihr Polizei und Justiz auf die Schliche kamen. Und warum die lange Geschichte des fehlenden Gespürs für die Bedeutung dieses wahrhaft beispiellosen Falls immer noch nicht an ihrem Ende angekommen ist.
