NSU-Prozess : Der Mann mit der grauen Jogginghose
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Dieses Fahndungsbild des Bundeskriminalamtes (BKA) zeigt die mutmaßlichen Mitglieder der terroristischen Vereinigung „Nationalozialistischer Untergrund“ (NSU), Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos (r.) im Jahr 2007 Bild: dapd
Mit Blutspuren auf einer Jogginghose und weiteren Indizien rekonstruieren die NSU-Ermittler den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter. Die Täter sind nach Ansicht der Bundesanwaltschaft Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.
Am 4. November 2011 wurde in Eisenach ein Polizist mit der Zusatzausbildung zum Jagdwaffentechniker aufgefordert, sich eine Waffe genauer anzuschauen. Die Waffe war in einem ausgebrannten Wohnmobil sichergestellt worden, das im Zusammenhang mit einem Banküberfall stand. Er habe, sagt der Polizist am Mittwoch als Zeuge vor Gericht, sich zunächst gewundert, wie so eine hochmoderne Waffe in das Wohnmobil gekommen sei. „Das ist eine Waffe, wie sie die Polizeien der Länder verwenden.“ Ein Vergleich der Seriennummer mit den Informationssystemen brachte schnell Klarheit: Die Waffe war eine Dienstwaffe und wurde im Zusammenhang mit dem Mordanschlag auf die Polizistin Michèle Kiesewetter und ihren Kollegen in Heilbronn am 25. April 2007 gesucht.
Es sei natürlich „abstrakt möglich“, dass es weniger als zwei Schützen gewesen seien, sagt der Gerichtsmediziner am Mittwoch auf Nachfrage des Verteidigers von Beate Zschäpe. Aber wahrscheinlich sei es doch nicht. Stundenlang hatte der Sachverständige zuvor die Ergebnisse der Obduktion von Michèle Kiesewetter vorgetragen, über Schusskanäle und Eintrittswinkel, Blutantragungen und „Anschleuderspuren“ berichtet.
Blutspritzer mit „großer Auswurfenergie“
Besonderes Augenmerk kam dabei den Anschleuderspuren zu, also feinen Blutspritzern, die auf einer grauen Jogginghose festgestellt wurden – die Hose wird Uwe Mundlos zugeschrieben, das Blut stammt von der getöteten Polizistin. „Anhand der Ausprägung der fleckförmigen Gebilde kann man die Flugrichtung eines Bluttropfens bestimmen.“ Die Blutspritzer mussten demnach mit „großer Auswurfenergie“ geschleudert worden sein. Und er führt weiter aus, dass bei „ein oder zwei Spurentypen“ eine bedingte Kompatibilität mit den Computer-Modellen bestehe. Mit den „Modellen“ meint der Sachverständige Computersimulationen zum höchstwahrscheinlichen Tatablauf.
Im Zuge der Ermittlungen waren damals von der getöteten Polizistin und dem schwer verletzten Kollegen computertomographische Aufnahmen gefertigt worden. Anhand dieser Aufnahmen erstellten die Ermittler dann „anthropomorphe dummies“ – Puppen mit den exakten Körpermaßen der Opfer. Diese „Puppen“ wurden in einer Computersimulation in ein Fahrzeug gesetzt. Durch die Köpfe dieser grün ausgemalten Personen zeichnete man anhand einer langen Linie den Weg ein, den die Geschosse bei Eintritt und Austritt wahrscheinlich genommen haben müssen.
Und darauf abgestimmt, wurden mit roter Farbe gekennzeichnete Schützen plaziert, die rechts und links vom Fahrzeug hinter den Opfern stehen. Alle Körpergrößen möglicher Schützen habe man durchgespielt, sagte der Gutachter, um zu sehen, wie die Größe mit dem tatsächlichen Schusskanal übereinstimmt. „Wir sind davon ausgegangen, in welcher Stellung die Schussabgabe ‚bequem‘ gewesen sein musste.“ Der Schütze, der die Polizistin erschoss, muss demnach mindestens 1,90 Meter groß gewesen sein. Auf ihren Kollegen schoss demnach ein Täter, der etwa 1,75 Meter groß gewesen sein musste.
Mit dem Fahrrad zum Tatort
Die Täter sind nach Ansicht der Bundesanwaltschaft Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Sie sollen mit Fahrrädern zum Tatort auf der Theresienwiese in Heilbronn gekommen seien, wo Michele Kiesewetter und ihr Kollege in ihrem Streifenfahrzeug im Schatten eines Transformatorenhauses ihre Pause verbrachten. Am Dienstag hatte ein Zeuge ausgesagt, dass er zwei Männer in Fahrradkleidung in der Nähe des Tatortes gesehen habe, die aufgeregt miteinander sprachen. Kurz darauf habe er auch einen Knall gehört.
Warum gerade die beiden Polizisten Opfer wurden, gehört zu den vielen Rätseln der Mordserie. Am Mittwoch sagte ein Beamter des Bundeskriminalamtes aus, dass es keine Hinweise gebe, dass die Polizistin, ihre Familie oder ihr Kollege private Kontakte zu Angehörigen des NSU oder der rechtsextremen Szene gehabt hätten. Auch bei beruflichen Einsätzen auf Demonstrationen von Rechtsextremisten habe es offenbar keine Vorfälle gegeben, die auf einen Racheakte schließen lassen.
Lediglich die Herkunft von Michèle Kiesewetter aus dem thüringischen Oberweißbach stelle eine Nähe her. In einer Gaststätte dort, deren früherer Pächter der rechtsextremen Szene nahegestanden haben soll, sei sie jedoch nie gewesen. Auch eine Verwechslungstat ist nach seinen Angaben ausgeschlossen. Ebenso habe die Tatsache, dass einige Beamte der Bereitschaftspolizei in Baden-Württemberg Mitglieder beim Ku-Klux-Klan gewesen seien, keine weiteren Ermittlungsansätze ergeben.