An den Richter im NSU-Prozess : Sie haben es gewollt!
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„Sie wussten, was Sie tun“
Es schmerzt, sehr geehrter Herr Götzl, einem hohen Richter sagen zu müssen, was es für die Rechtskultur bedeutet, dass sich die Öffentlichkeit aus einem pluralen überregionalen Zeitungsangebot informieren kann. Dass sie in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, in der „Süddeutschen Zeitung“, in der „taz“, in der „Welt“, in der „Zeit“ lesen können, was erfahrene Berichterstatter wahrnehmen, wie sie Vorgänge einschätzen, wie sie Einlassungen bewerten. Die Leser können sich ein vielfältiges Bild verschaffen, können vergleichen, können ihre Schlüsse ziehen. Sie, sehr geehrter Herr Götzl, müssten am besten wissen, dass es ganz unterschiedliche Wahrnehmungen eines Prozessgeschehens gibt. Um ein Wort eines früheren Staatsmannes abzuwandeln: „Bild“ und Glotze - und „Radio Lora München“ reichen nicht.
Sie werden uns nicht die Antwort entgegenhalten, die Sie als Richter nur zu gut kennen: „Das habe ich nicht gewollt.“ Sie wussten, was Sie taten, als Sie die Brücke ignorierten, die Ihnen das Bundesverfassungsgericht baute, mit der Anregung, doch drei zusätzliche Plätze für ausländische Medien zu schaffen, die im ersten Akkreditierungsverfahren leer ausgegangen waren. Sie wussten, was Sie in Kauf nahmen, als Sie die erste Akkreditierungsliste, die einigermaßen ausgewogen war, zur Seite fegten und ein Losverfahren bestimmten, das, wie es der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier formuliert, zu „Merkwürdigkeiten“ führen musste.
Wie bei der Tombola eines Kleingartenvereins
Wir wissen natürlich: Sie haben die Macht. Das Bundesverfassungsgericht billigt Ihnen „einen erheblichen Ermessensspielraum“ bei der Vergabe von Presseplätzen zu. Aber ist das ein Freibrief für ein inhaltsentleertes Gerichtslotto? Das können die Verfassungsrichter nicht gewollt haben. Sie haben die Macht. Sie können sagen, was schert mich die Öffentlichkeit, was schert mich, wer auf den Pressestühlen sitzt, was schert mich, wer vor den Gerichtssälen steht. Sie können sagen: Was kümmert mich das Geschwätz der Mehrheit der Rechtsexperten, die eine Videoübertragung in einen anderen Gerichtssaal für zulässig halten. Was kümmert mich, dass nach den Pannen im ersten Akkreditierungsverfahren auch die Auslosung fehlerhaft war und eine „Nachauslosung“ notwendig wurde, als müsse bei der Tombola eines Kleingartenvereins noch ein Häcksler unter die Leute gebracht werden.
Sie haben die Macht - für den Augenblick. Der Bundesgerichtshof, die Revisionsinstanz, ist noch weit entfernt. Damit kein Missverständnis aufkommt: Wir hoffen nicht, dass ein Urteil, wie immer es ausfallen mag, aufgehoben wird, weil die Revisionsrichter eine Simulation einer Öffentlichkeit nicht für eine Öffentlichkeit halten, wie sie unsere Rechtskultur gebietet. Nichts wäre schlimmer, als dass die quälende Geschichte der polizeilichen und juristischen Aufklärung der NSU-Morde immer weiter gedehnt würde. Wir können nur hoffen, dass der Gesetzgeber Klarheit schafft, wie eine Öffentlichkeit in Gerichtsverfahren zu garantieren ist, die diesen Namen verdient. Damit Sie keine Nachahmer finden.
Mit freundlichen Grüßen
Albert Schäffer