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NSA-Debatte : Heuchelei, Verleumdung, Ablenkungsmanöver

  • Aktualisiert am

Frank-Walter Steinmeier war Kanzleramtschef unter Rot-Grün Bild: dpa

Die Kritik am früheren Kanzleramtschef Steinmeier und dem SPD-Politiker Oppermann wird immer heftiger. Der CSU-Abgeordnete Uhl wirft ihnen vor, BND-Mitarbeiter verleumdet zu haben. Die SPD spricht von einem „durchsichtigen Versuch“ der Ablenkung.

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          In der Debatte über die Spähprogramme des amerikanischen Geheimdienstes NSA gerät der SPD-Fraktionsvorsitzende und frühere Chef des Bundeskanzleramts Frank-Walter Steinmeier immer stärker unter Druck. Koalitionspolitiker und Vertreter der Linkspartei verschärften am Donnerstag ihren Vorwurf der Heuchelei. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und Generalsekretärin Andrea Nahles verteidigten Steinmeier. Ein Sprecher der Bundesregierung hatte am Mittwoch gesagt, die rot-grüne Koalition habe 2002 die Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND) mit dem amerikanischen Geheimdienst NSA abgesegnet. Steinmeier habe damals als Chef des Kanzleramtes die Grundsatzentscheidung getroffen.

          Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), bezichtigte Steinmeier und den SPD-Politiker Thomas Oppermann der Verleumdung. Sie hätten die Mitarbeiter der deutschen Geheimdienste zu millionenfachen Rechtsbrechern erklärt, sagte Uhl, der auch Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Überwachung der Geheimdienste ist, am Donnerstag. „Wir werden es niemals zulassen, dass diese Verleumdung so unwidersprochen weitergeht.“ Steinmeier und Oppermann müssten sich bei den 10.000 Beamten des Bundesnachrichtendienstes (BND) und des Bundesverfassungsschutzes entschuldigen, die sie unter Generalverdacht gestellt hätten.

          „Der größte Heuchler“

          Die Vorsitzende der Linkspartei Katja Kipping sagte der „Mitteldeutschen Zeitung“, Steinmeier sei „der größte Heuchler in der ganzen Spionageaffäre“. Es sei Zeit für einen Offenbarungseid der SPD. „Während Steinbrück täglich ein Empörungstheater aufführt, kommt Schritt für Schritt heraus, dass Rot-Grün alle Türen aufgemacht hat, durch die die NSA und private Konzerne die Daten aus Deutschland absaugen“, sagte Kipping. Für die Linkspartei führe kein Weg an einem Geheimdienst-Untersuchungsausschuss nach der Bundestagswahl vorbei. „Dann müssen auch die Schlapphutpaten der SPD aussagen.“

          Der Unions-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder (CDU) warnte die SPD davor, „aus dem seriösen Parlamentarischen Kontrollgremium eine Wahlkampf-Klamaukbude zu machen“. „Wir sollten dafür dankbar sein, dass wir wegen der Hinweise amerikanischer Geheimdienste von Anschlägen in Deutschland verschont geblieben sind“, sagte Kauder der „Passauer Neuen Presse“.

          Steinmeier wies die Vorwürfe mit Verweis auf die Terroranschläge in den Vereinigten Staaten am 11. September 2001 zurück: „Was an Zusammenarbeit zur Aufklärung eines grauenhaften Verbrechens notwendig war, hat nichts zu tun mit der lückenlosen und flächendeckenden Abschöpfung von Daten unserer Bürgerinnen und Bürger.“ SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sagte im ZDF, die Schuldzuweisungen an Steinmeier seien „ein ganz billiger Ablenkungsversuch“. Die jüngst bekannt gewordenen Ausspäh- und Abhöraktionen der NSA seien unter Rot-Grün technisch gar nicht möglich gewesen. „Die Verantwortung liegt bei der jetzigen Bundesregierung, bei der Bundeskanzlerin“, sagte Nahles.

          „Durchsichtiger Versuch“

          Auch SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück meldete sich am Donnerstag zu Wort. Die Regierung unternehme hier „den durchsichtigen Versuch im Wahlkampf, Steinmeier in eine Soße zu stecken“ mit Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) und Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), sagte Steinbrück am Rande eines Besuchs im niedersächsischen Papenburg. Damit solle von deren Versäumnissen abgelenkt werden.

          Der Bundesregierung warf Steinbrück vor, weiterhin keine Antwort auf die Frage zu geben, ob deutsche und europäische Regierungsstellen von den Vereinigten Staaten abgehört würden. Gleiches gelte für den Bereich der Wirtschaftsspionage. Diesen Fragen gehe die Regierung nicht mit hinreichendem Nachdruck nach. „Es geht nicht um die Entwicklung vor zehn Jahren, es geht um die Probleme von heute“, sagte Steinbrück. Die technologische Entwicklung in den vergangenen Jahren sei ein „Quantensprung“. Beispielsweise habe es soziale Netzwerke, deren Daten heute abgeschöpft würden, vor wenigen Jahren noch gar nicht in der heutigen Form gegeben. Früher sei es bildlich gesprochen darum gegangen, „aus einem See von Informationen mit dem Eimer etwas herauszuholen“, zitierte Steinbrück Geheimdienstfachmann. „Heute wird einfach das Wasser aus dem See abgelassen, um zu sehen, was darin ist.“

          Der CSU-Politiker Uhl wies diese Argumentation zurück. Das Programm „Prism“ sei schlicht eine technologische Weiterentwicklung der Zusammenarbeit mit der NSA. „Dass man in der Ausführung der engen Zusammenarbeit im Jahr 2002 andere technische Möglichkeiten hat als im Jahr 2012, das ist ja logisch“, sagte Uhl. In zehn Jahren würden wieder andere Werkzeuge zum Einsatz kommen. Entscheidend seien aber nicht die Instrumente, sondern die Zusammenarbeit. „Was immer Sie für Tools anwenden, das Recht bleibt das gleiche“, sagte Uhl. „Das Recht heißt: Keine Weitergabe von Daten deutscher Grundrechtsträger, egal ob sie im Ausland oder im Inland aufgefangen wurden.“

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