Niedersachsen : Grüne: Atomgegner wurden bespitzelt
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Unter Beobachtung: Atomgegner Bild: dpa
Die niedersächsische Polizei hat Atomkraftgegner mit illegalen Methoden ausspioniert, sagt Rebecca Harms, Vorsitzende der grünen Landtagsfraktion.
Die Polizei in Niedersachsen hat mehrere Monate lang rechtswidrig Mitglieder der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg abgehört. Diesen Vorwurf erhebt die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im niedersächsischen Landtag, Rebecca Harms. Von Oktober 1996 bis März 1997 habe das Landeskriminalamt Telefongespräche der Vorsitzenden der Bürgerinitiative, Rosemarie Schoppe, ohne richterliche Genehmigung systematisch ausgekundschaftet. Das niedersächsische Innenministerium wies die Vorwürfe zurück.
4249 Telefongespräche Schoppes und weiterer Bewohner des Bauernhofes im Wendland, auf dem die Familie lebt, seien abhört worden, erklärten Vertreter der Bürgerinitiative. 438 Faxe seien abgefangen und das Auto der Atomkraftgegner mit einem Peilsender und einer Wanze versehen worden.
Die Akten, die Mitglieder der Bürgerinitiative einsehen konnten, umfassten 18 Aktenordner. Selbst Gespräche des 11 Jahre alten Sohnes von Schoppe seien verzeichnet; die Adressen seiner Schulfreunde seien von der Polizei überprüft worden. Auch Gespräche mit Harms hörte die Polizei ab. „Plötzlich gibt es einfach nichts mehr Privates, man wird zum öffentlichen Gegenstand“, sagte Schoppe.
Ermittlungsverfahren gegen Ehemann
Die Bespitzelungen waren Teil eines Ermittlungsverfahrens wegen eines 1995 verübten Hakenkrallenanschlags auf eine ICE-Bahnstrecke. Damals fiel der Verdacht der Polizei auf den Ehemann der Vorsitzenden, Klaus Schoppe. Die Staatsanwaltschaft leitete ein Verfahren wegen des Verdachts des gefährlichen Eingriffs in den Schienenverkehr ein. Zwei Mal durchsuchten Beamte den Hof der Familie Schoppe - ohne Ergebnis.
Das Verfahren gegen Schoppe wurde später eingestellt, weil sich der Tatverdacht nicht erhärten ließ. Während der Ermittlungen hörte die Polizei das Telefon des Hofes ab. Es wird außer von der Familie Schoppe auch von deren Mitbewohner Matthias Edler, Sprecher der Bürgerinitiative, genutzt - unter anderem für die Pressearbeit. Gespräche, die nicht von dem Beschuldigten geführt oder etwas mit dem Thema der Straftat zu tun hatten, seien entgegen der gesetzlichen Regelungen aufgezeichnet und ausgewertet worden, sagte der Anwalt Dieter Magsam. Lauschangriffe seien nur bei besonders schweren Straftaten und gegen einzelne Beschuldigte erlaubt, sagte Magsam. Statt dessen habe die Sonderkommission des Landeskriminalamts aber auch private Gespräche sowie alle Kontakte der Bürgerinitiative ausgewertet und elektronisch erfasst, insbesondere die von Vorstandsmitgliedern.
„Als Kriminelle oder Terroristen abgestempelt“
„Neu ist es nicht, dass gespitzelt wird“, sagte Matthias Edler, der ebenfalls bespitzelte Sprecher der Bürgerinitiative. Aber noch nie sei ein solch großes Ausmaß polizeilicher Ermittlungen dokumentiert worden. Die Bürgerinitiative stehe nicht nur im Visier des Verfassungsschutzes, sondern auch der Polizei und Staatsanwaltschaft. „Die Mitglieder der Bürgerinitiative werden als Kriminelle oder Terroristen abgestempelt, um Polizeigewalt gegen Sitzblockaden zu rechtfertigen“, sagte Edler.
Die grüne Fraktionsvorsitzende Harms sagte, der Fall der Lauschangriffe sei ein typisches Beispiel für die Verquickung von atompolitischer und innenpolitischer Auseinandersetzung im Fall Gorleben. Die Unverhältnismäßigkeit der Mittel sei immer noch nicht überwunden. Nach wie vor fänden verdeckte Ermittlungen statt, auch durch den Verfassungsschutz. Dieses Problem sei nur durch eine gute Atompolitik zu lösen. „Solange die atompolitischen Entscheidungen nur polizeilich durchgesetzt werden können, wird es schwer sein, die Unverhältnismäßigkeiten der polizeilichen Ermittlungsmethoden einzuschränken“, sagte Harms.