
Neapels Müllkrise : Bankrott der Institutionen
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Nicht nur der Müll stinkt in Neapel zum Himmel ... Bild: dpa
Der Müllnotstand von Neapel droht zum Symbol für den drohenden Niedergang Italiens zu werden. Denn die Politiker zeigen sich nicht in der Lage, die Probleme auf geregelte Weise zu lösen. Diese Bankrotterklärung hat schlimme Folgen für die Stadt.
Die Abfallberge von Neapel werden zum Symbol für den drohenden Niedergang Italiens. Weder die Verwaltung der Stadt Neapel noch die Regierung der Region Kampanien oder die staatlichen Autoritäten in Rom zeigen sich in der Lage, die Probleme des täglichen Lebens für einen wichtigen Teil Italiens auf geregelte Weise zu lösen. Nur der Notstand schafft noch eine Chance, dass konzentriert nach Lösungen gesucht wird. Schon vor eineinhalb Jahren war die Situation in Neapel ähnlich zugespitzt wie heute. Aber nach der ersten Müllkrise von 2006 hatten die Verantwortlichen in Stadt und Land keine dauerhafte Lösung gefunden und nach kurzfristiger Abhilfe weiter in den Tag hinein gelebt.
Tatsächlich dauert der Müllnotstand in Kampanien, einer Region mit sechs Millionen Einwohnern, schon vierzehn Jahre an. Denn schon 1994 sah sich die Regierung in Rom veranlasst, die Müllbeseitigung der Region in die Hände eines Notstandskommissars zu legen. Dass nach so langer Zeit und mittlerweile dem neunten Notstandskommissar noch immer nichts Entscheidendes bewegt wurde, ist auf einige typisch neapolitanische Eigenheiten zurückzuführen: Die Gewöhnung an chaotische Zustände stärkt seit Generationen den Glauben, man könne sich mit Schlauheit schon irgendwie durchwursteln. Und wenn die Dinge schiefgehen, dann werde schon irgendjemand sein Herz erweichen lassen und aushelfen. Von Anfang an gab man sich der Illusion hin, Neapel könne sich den Ärger ersparen, der mit der Suche nach neuen Mülldeponien verbunden ist. Kampanien sollte ganz ökologisch sein und ohne neue Müllhalden auskommen.
Klientelismus und Populismus in Neapel reichhaltig vorhanden
Zu den italienischen Ingredienzen, die in Neapel besonders reichhaltig vorhanden sind, gehören zudem Klientelismus und Populismus. In einer Gegend, in der es wenige erfolgreiche Exportunternehmen gibt und auch der private Dienstleistungssektor unterentwickelt ist, werden öffentliche Aufgaben wie die Gesundheitsversorgung oder die Müllentsorgung dazu missbraucht, gutdotierte Posten zu schaffen, üppige Beraterverträge zu finanzieren und zuletzt auch noch die eigene Klientel mit Festanstellungen zu versorgen. So beschäftigt Neapel mehr als zwanzigmal so viele Müllmänner wie Mailand. Für die Mülltrennung stellte Neapel 2400 Personen ein, die seit sieben Jahren Gehalt beziehen, aber nicht arbeiten. Die Lösung des Müllproblems wird dabei nebensächlich oder sogar zu einem Störfaktor: Denn die Zeiten des Notstands bieten einen Vorwand, die gesetzlichen Regeln über Bord zu werfen und noch ungehemmter egoistische Ziele zu verfolgen.
Müllkrise : Bürger Neapels nehmen Müllentsorgung selbst in die Hand
Nach vierzehn Jahren hat sich der Müllnotstand schließlich zu einem eigenen Wirtschaftszweig entwickelt. Ein Geflecht von Interessengruppen sorgt dafür, dass dieser Zustand andauert. In diesem Morast hat sich auch Neapels Camorra fest eingenistet. Mit dem illegalen Vergraben giftiger Abfälle hat sie schon Milliarden von Euro verdient. Auffallend in der aktuellen Müllkrise ist die Arroganz der Politiker von Mitte-Links, die jahrelang die Probleme verschleppt und rhetorisch bemäntelt haben, aber von Rücktritt nichts wissen wollen. Unter umgekehrten Vorzeichen, mit konservativen Politikern an der Spitze von Stadt und Region, gar einem Berlusconi in Rom, wäre die Welle der Proteste und Entrüstungen schwer zu bremsen gewesen. Nun muss der grüne Umweltminister Alfonso Pecoraro Scanio, der jahrelang die Müllverbrennung bekämpft hat, nicht nur neue Müllkraftwerke, sondern auch noch eine ökologisch zweifelhafte Not-Deponie genehmigen.
Bassolino hat keinen seiner Zukunftsentwürfe verwirklicht
Die Bankrotterklärung der nationalen und lokalen Institutionen hat schlimme Folgen für Neapel. Denn wer soll noch einem Regionalpräsidenten glauben, der 1996 als Bürgermeister ein Fest zur Schließung einer Mülldeponie veranstaltete und einen Golfplatz versprach, nun aber die Deponie wiedereröffnet? Warum sollen die unfähigen Sachwalter der öffentlichen Interessen ausgerechnet in Neapel dafür sorgen, dass künftig die geplanten Müllkraftwerke korrekt und möglichst sauber arbeiten?
Eine Zeitlang, in den Jahren 1994 und 1995, hatten die Neapolitaner daran geglaubt, dass eine bessere Zukunft möglich sei, dass sich ziviles Verhalten und bürgerliches Engagement lohnen könnten und dass Neapel eine bessere Zukunft als Kultur- und Tourismusziel verdient habe. Solche Hoffnungen hatte der gegenwärtige Regionalpräsident Antonio Bassolino geweckt, als er Mittel in die Hand bekam, um die Stadt für die Ausrichtung des Weltwirtschaftsgipfels herauszuputzen.
Doch keinen einzigen seiner Zukunftsentwürfe hat er verwirklicht. Während Neapel davon träumte, die prestigeträchtigen Segelregatten um den America's Cup auszurichten, ohne etwas dafür zu tun, hat Spaniens Valencia die halbe Stadt umgebaut, die Regatten bekommen und einen zusätzlichen Wachstumsschub erhalten. Neapel dagegen hat die Hoffnung auf eine bessere Zukunft verloren und wird sich so schnell nicht mehr von Zukunftsprojekten überzeugen lassen - obwohl gerade Neapel nichts mehr brauchte als einen großen Wurf.