Nato-Generalsekretär Rasmussen : „Es geht um mehr als die Ukraine“
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Wir wissen nicht, was Russland in der Ukraine als Nächstes vorhat. Aber Russland weiß genau, dass die Nato darauf nicht militärisch antworten wird. Halten Sie das für eine kluge Strategie?
Es gibt nun mal einen Unterschied, ob ein Staat Nato-Mitglied ist oder nicht. Wir haben konkrete Schritte unternommen, um die kollektive Verteidigung aller Mitgliedstaaten zu stärken: Wir haben die Luftraumpatrouillen über dem Baltikum erweitert, wir nehmen Awacs-Aufklärungsflüge über Polen und Rumänien vor, wir haben die Präsenz unserer Marine im Schwarzen Meer und in der Ostsee erhöht. Das sind ja auch militärische Antworten. Sie dienen der Abschreckung.
Der polnische Außenminister verlangt viel mehr, nämlich zwei gepanzerte Brigaden. Eine angemessene Forderung?
Ich will da nicht ins Detail gehen, aber ich glaube, dass wir mehr Sichtbarkeit der Nato auf unserem gesamten Territorium brauchen.
Dauerhaft?
Nun, das hängt von der Lage ab. Wir halten jetzt Manöver ab, aber wir werden nicht zögern, mehr zu tun, wenn es für unsere gemeinsame Verteidigung erforderlich ist.
Russische Kampfflugzeuge haben sich in den letzten Tagen mehrfach dem Luftraum von Nato-Staaten genähert. Wird da gerade der Wille der Allianz getestet, sich zu verteidigen?
Die Russen brauchen unsere Entschlossenheit nicht auf die Probe zu stellen. Sie können nicht den geringsten Zweifel daran haben, dass wir einen Angriff auf ein Mitglied als Angriff auf uns alle betrachten. Alle von uns getroffenen Maßnahmen dienen deshalb auch der Abschreckung.
Wenn die Russen das alles so genau wissen, warum provozieren sie dann Mitgliedstaaten?
Ich will nicht über die Motive im Kreml spekulieren. Alles, was ich sagen kann, ist: Wir sind auf alle Eventualitäten eingestellt, wir haben dafür Verteidigungspläne.
Sollten die Russen in Estland einfallen, werden sie sich nicht von 16 Kampfflugzeugen und einer Kompanie am Boden aufhalten lassen. Wäre es nicht möglich, dass die Nato so überrumpelt wird wie die Ukraine bei der Krim-Besetzung?
Jetzt unterschätzen Sie aber unsere Fähigkeit, Mitgliedstaaten zu verteidigen! In diesem hypothetischen Fall würden wir alle notwendigen Maßnahmen zur Verteidigung Estlands treffen.
Wenn alles so gut vorbereitet ist, warum hat dann der Nordatlantikrat beschlossen, dass die Verteidigungspläne überprüft und angepasst werden sollen?
Die illegalen Handlungen Russlands haben eine neue Lage geschaffen, und damit müssen wir umgehen.
Sie haben vor kurzem gefordert, dass Nato-Verbände in der Lage sein müssen, schneller auf Bedrohungen zu reagieren. Warum?
Wir müssen unsere Prozeduren beschleunigen, denn wir haben erlebt, wie schnell Russland militärisch handelt, wenn eine politische Entscheidung getroffen ist. Auf diese veränderte Lage müssen wir uns einstellen.
Im Kalten Krieg waren Truppen in Grenznähe stationiert und in hoher Reaktionsbereitschaft. Heute würde es 180 Tage dauern, bis die Nato eine größere Operation auf die Beine gestellt hat.
Das will ich nicht bestätigen. Sie wären überrascht zu sehen, wie schnell wir handeln können. Seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich eine Menge getan, wir haben ganz neue militärische Fähigkeiten entwickelt, die uns eine größere Bandbreite von Reaktionen ermöglichen.
In der Nato-Russland-Gründungsakte von 1997 hat die Allianz zugesagt, bis auf weiteres keine Truppen in Osteuropa zu stationieren. Umgekehrt hat Russland versprochen, „in gleicher Weise Zurückhaltung zu üben bei der Stationierung seiner konventionellen Streitkräfte“. Gilt dieses wechselseitige Versprechen noch?