Muslime in Deutschland : Das Netzwerk der Gutgläubigen
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Die blaue Moschee in Hamburg - sie ist offen für den Dialog mit Christen Bild: ZDF
Immer mehr Deutsche konvertieren zum Islam. Viele von ihnen haben ihre Wurzeln gekappt und alle Brücken hinter sich abgebrochen: die ideale Zielgruppe für Fundamentalisten.
Sie engagieren sich in Moscheevereinen und muslimischen Organisationen, studieren und oder lehren Islamwissenschaft, gründen muslimische Verlage oder Buchhandlungen: Deutsche, die zum Islam übergetreten sind. Manche nehmen ihren neuen Glauben so ernst, daß sie mehrere Jahre in Koranschulen in Saudi-Arabien oder Pakistan verbringen. Einzelne drifteten in den Extremismus ab und kämpften in Tschetschenien oder Bosnien als Mudschahedin gegen die "Ungläubigen".
Zahl der Konvertiten steigt
Die Zahl der deutschen Konvertiten zum Islam ist im vergangenen Jahr drastisch gestiegen. Traten nach Angaben des Islam-Archivs in Soest in der Vergangenheit in Deutschland alljährlich bis zu 300 Nichtmuslime zum Islam über, sind es zuletzt 800 gewesen. Mohammed Selim Abdullah, Leiter des Islam-Archivs, führt das auf den Ausbruch des neuerlichen Golf-Kriegs zurück.
Um Muslim zu werden, genügt es, vor zwei Zeugen das Glaubensbekenntnis, die Schahada, auszusprechen: "Ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Allah und daß Mohammed sein Diener und Gesandter ist." Moscheevereine, die mit dem Islam-Archiv zusammen arbeiten, schicken dann eine Mitteilung nach Soest. Andere dagegen verzichten auf protokollarische Formalitäten vollkommen.
Eine besondere Biographie - ein besonderes Verhältnis zur Religion
Etwa 800000 Muslime mit deutschem Paß gibt es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bei uns. Gebürtige Deutsche sind von ihnen nur wenige. Die Zahl der Konvertiten, Menschen also, die von einer anderen Religion zum Islam übergetreten sind, schätzt man auf 13000 bis 60000. Sie machen zwar unter den mehr als drei Millionen Muslimen in Deutschland nur einen kleinen Teil aus. Doch Konvertiten haben eine besondere Biographie und ein besonders enges Verhältnis zu ihrer Religion - und sind manchmal auch besonders gefährlich. Sie wollen sich selbst und ihren neuen Glaubensgenossen beweisen, daß es ihnen ernst ist mit ihrer Bekehrung. Daher der ausgeprägte Wunsch, sich auf religiösem Gebiet demonstrativ hervorzutun.
Das kennt auch Mohammed Siddiq, ein deutscher Muslim, der mit bürgerlichem Namen Wolfgang Borgfeld heißt. Er ist 60 Jahre alt, mit 18 konvertiert. In der ersten Zeit hat seine Großmutter das Essen für ihn in separaten Töpfen kochen müssen, damit es nicht "unrein" würde. Über Jahre hinweg hat er sich aus religiösen Gründen auch nicht fotografieren lassen. "Mit 16 wollte ich meinen eigenen Weg finden", sagt Borgfeld, den am Islam vor allem "die Einfachheit und Klarheit der muslimischen Gottesvorstellung" faszinierte.
„Der Wunsch, etwas für den Islam zu tun“
Nach Banklehre und nachgeholtem Abitur hat Mohammed Siddiq ("der Wahrheitsliebende") ein Studium der Soziologie und Islamkunde begonnen und ist nach Syrien, Jordanien, Irak, Kuweit, Saudi-Arabien, Marokko, Algerien, Libyen und in den Sudan gereist, wo er vier Jahre lang eine Koranschule besuchte. Nachdem er weitere vier Jahre an einer Koranschule in Medina zugebracht hatte, verspürte er "den Wunsch, etwas für den Islam zu tun". Er zog mit seiner Frau nach Aachen, wo er Besuche von Schulklassen in der Aachener Moschee und Begegnungen deutschsprachiger Muslime organisierte.