
Merkel in der Türkei : Eine Bildungsreisende
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Ob nun der Besuch in Kappadokien oder jener am Sonntagabend bei der Bundeswehreinheit in Kahramanmaras als erstes feststand, war so gesehen eine Frage minderen Gewichts. Manches spricht dafür, dass der Truppenbesuch eine abgeleitete Bedeutung hatte. Seit Ende Januar gehen dort gut 300 Soldaten ihrer Pflicht nach, die Türkei im Rahmen des Nato-Vertrages gegen mögliche Angriffe - von wem auch immer - aus syrischem Staatsgebiet zu unterstützen. Der Besuch bei der Bundeswehreinheit war schon wegen der örtlichen Nähe erforderlich, obwohl der Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière erst am Tag zuvor dort gewesen war. Es fügte sich, dass Frau Merkel den Soldaten versicherte, es werde - wirklich - nicht nun täglich ein deutsches Regierungsmitglied dort erscheinen.
Gespür für die syrische Grenze bekommen
Besichtigung also einer Patriot-Abschuss-Rampe - einer von zwölf. Noch ist keine abgeschossen worden. „Gottseidank“, vermerkte ein Truppenbediensteter. Seit vier Wochen bauen sie die Station auf - in einer alten türkischen Kaserne, die zum Abriss freigegeben worden war. Es heißt, die sanitären Anlagen ließen zu wünschen übrig, und von entsprechenden Schicksalen der Soldaten wird gesprochen. Demnächst sollen die gelieferten Nahrungsmittel auf ihre Tauglichkeit für die Deutschen hin überprüft werden, und falls die deutschen Standards nicht eingehalten würden, müsse alles mit Containern herbeigeführt werden. Ein Gespür für die Nähe zur syrischen Grenze mag Frau Merkel bekommen haben wollen. Aleppo war nicht weit.
Das Politische und Ökonomische durfte nicht in den Hintergrund geraten. Empfang für Frau Merkel am Montag beim türkischen Staatspräsidenten Gül. Natürlich auch Unterredungen mit türkischen Wirtschaftsführern und eine Rede zur Förderung des schon florierenden Handelsaustauschs. Ein Gespräch - und am Abend dann noch ein Essen - mit dem Ministerpräsidenten Erdogan, der in deutschen Regierungskreisen als ein Mann kräftiger Worte gilt. Die beiden sehen sich regelmäßig, und die Gespräche mögen dazu geführt haben, dass die Bundeskanzlerin sich langsam von der Wortwahl von der privilegierten Partnerschaft entfernt, die an die Stelle eines vollständigen Beitritts der Türkei zur Europäischen Union treten sollte.
Stolze Türkei unter europäischem Joch?
Ihre Zweifel und Bedenken dagegen freilich hält Frau Merkel aufrecht. Nicht einmal so sehr mit den religiösen Angelegenheiten pflegt sie ihre Position zu begründen. Die Rolle der Gewerkschaften in der Türkei und das, was im weitesten Sinne als politische Kultur zu bezeichnen ist, kommen hinzu. Fragen und Zweifel zudem, ob die Türkei, das stolze Land, unter die Fittiche der Europäischen Union und ihrer Kommission begeben würde, in all den Details der Politik, wie das eben seit Jahren die althergebrachten Mitglieder Westeuropas tun. Der seit Jahren währende Streit, wie Zypern zu behandeln sei, pflegt immer wieder neu die Verhandlungen zu blockieren. Ein Besuch des Atatürk-Mausoleums war ebenso Pflicht. „In Gedenken an den Gründer der modernen Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, und in Anerkennung unserer tiefen Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern und ihren Bürgerinnen und Bürgern“, schrieb Frau Merkel in das Gedenkbuch.
In einer anschließenden Pressekonferenz sagte der türkische Ministerpräsident Erdogan dann aber dennoch, dass er sich mehr Unterstützung seines Landes für einen EU-Beitritt wünsche. Darum habe er die Bundeskanzlerin persönlich gebeten. Und um seiner Bitte Nachdruck zu verleihen, hob er auf die engen wirtschaftlichen Beziehungen beider Staaten ab: In der Türkei seien inzwischen etwa 5000 deutsche Firmen vertreten, die mehr als 350.000 Leute Menschen beschäftigten. Und schließlich gebe es auch in Deutschland türkische Investoren.