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Massenprotest in Athen : Hunderttausende demonstrieren für die Rettung des Griechentums

Demonstranten am Sonntag auf dem griechischen Parlament in Athen Bild: dpa

In Athen gehen Hunderttausende gegen den Namen ihres Nachbarstaats auf die Straße. Unterstützung im Streit um die Bezeichnung „Mazedonien“ bekommen sie aus einer unerwarteten Ecke.

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          Noch sind es einige Stunden hin bis zum Beginn der Demonstration, doch die Devotionalienhändler des panhellenischen Nationalismus sind längst da: „Große Fahnen fünf, kleine zwei Euro. Kaufen Sie besser hier, im Zentrum sind sie teurer“, warnt die Frau, die am Sonntagmorgen an der Metrostation „Evangelismos“ griechische Flaggen verkauft. Doch Stichproben auf dem Syntagma-Platz vor dem Parlament zeigen, dass dort dieselben Preise verlangt werden. Einige Anbieter sind sogar bereit, sich herunterhandeln zu lassen. Es sind derart viele Flaggenhändler unterwegs an diesem Tag, dass sie um Kunden buhlen müssen. Selbst die Sesamkringelverkäufer spüren den Konkurrenzdruck. Die Marktwirtschaft funktioniert, der Internationale Währungsfonds hätte seine Freude.

          Michael Martens
          Korrespondent für südosteuropäische Länder mit Sitz in Wien.

          Potentielle Käufer gibt es andererseits genug: Nationalistische Organisationen haben, unterstützt von der orthodoxen Kirche und indirekt auch von der konservativen Partei „Nea Dimokratia“ des Oppositionsführers Kyriakos Mitsotakis, zu einer Kundgebung aufgerufen, um das vermeintlich bedrohte Griechentum zu retten. Eine ähnliche Demonstration hatte vor kurzem in Thessaloniki stattgefunden und um die 100.000 Teilnehmer angezogen. Anlass sind die Verhandlungen der griechischen Regierung über eine Lösung des „Namensstreits“ mit Mazedonien. Seit dem Zerfall Jugoslawiens 1991 blockiert Griechenland die Westintegration seines nördlichen Nachbarn mit dem Argument, allein die Griechen als Nachfolger Alexanders des Großen hätten das Recht auf den historischen Namen Mazedonien. Solange der Balkanstaat im Norden sich nicht einen anderen Namen gebe, werde Griechenland daher sein Veto gegen eine Nato-Mitgliedschaft und den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen einlegen, lautet die in Athen parteiübergreifend unterstützte Position.

          Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras, der einst viel populistischen Unsinn verzapft, in der „Namensfrage“ aber nie zu den Scharfmachern gehört hat, strebt dagegen in Gesprächen mit der Regierung in Skopje einen Kompromiss an. Wenn sich das Land ein chronologisches oder geographisches Kompositum als Namen zulege (zum Beispiel Neu-Mazedonien, Ober-Mazedonien oder Nord-Mazedonien) könne man dem zustimmen, lautet dem Vernehmen nach die Athener Position. Doch dagegen begehren griechische Nationalisten jedweder Couleur auf: Das Wort „Mazedonien“ dürfe überhaupt nicht im Namen des Nachbarstaates auftauchen.

          Das klingt absurd und ist es auch, stellt zugleich aber eine politische Realität dar, die in Griechenland niemand ignorieren kann. Laut Umfragen sind mehr als 70 Prozent der Griechen dagegen, dass Mazedonien Mazedonien heiße. So demonstrierten am Sonntag in Athen mehrere Hunderttausend aus allen Teilen des Landes angereiste Teilnehmer gegen Kompromisse. „Nein zum Ausverkauf des einzigen und griechischen Mazedonien“ hieß es auf Flugblättern. „Mazedonien ist griechisch und nur griechisch“, skandierten die Demonstranten. Hauptredner der Veranstaltung war der greise Komponist Mikis Theodorakis, der sich zwar zeitlebens als Linker definiert hat, im „Namensstreit“ aber dennoch an der Spitze des nationalistischen Zuges steht. „Wir werden nie zustimmen, dass ein anderes Land den Namen Mazedonien in irgendeiner Form trägt“, sagte der 92 Jahre alte Musiker.

          „Mazedonien ist Griechenland“: Hunderttausende Menschen protestieren in Athen gegen den Namen ihres Nachbarstaates.
          „Mazedonien ist Griechenland“: Hunderttausende Menschen protestieren in Athen gegen den Namen ihres Nachbarstaates. : Bild: dpa

          Die Kundgebungen in Thessaloniki und nun in Athen bezeichnen das erste Mal seit vielen Jahren, dass Griechen nicht gegen Rentenkürzungen oder andere Sparmaßnahmen auf die Straße gehen. Die Demonstrationen gegen die Finanzkrise waren sämtlich folgenlos geblieben, da sich die viele Milliarden Euro großen Fehlbeträge in den Rentenkassen nicht einfach wegdemonstrieren ließen. Genausogut hätten die Griechen gegen die Schwerkraft protestieren können. Nun aber gehen die Demonstranten mit der Aussicht auf die Straße, tatsächlich etwas zu erreichen und die Gespräche mit Skopje entgleisen zu lassen.

          Unterstützung gegen die slawischen Mazedonier bekommen sie von Russland. Dessen Außenminister Sergej Lawrow hat unlängst in der unverblümten Art, die ihn manchmal auszeichnet, auf den Punkt gebracht, worum es Moskau geht: Die lange so gut wie eingeschlafenen Verhandlungen über die Namensfrage seien erst aktiviert worden, „als die Vereinigten Staaten sich entschlossen, dass Mazedonien in der Nato sein muss“, sagte Lawrow Mitte Januar.

          An einen anwesenden griechischen Journalisten gewandt, fügte Putins Diplomatiechef hinzu, Athen solle sich nicht unter Druck setzen lassen: „Da Griechenland schon in der Nato ist, braucht ihr keinerlei Zugeständnisse zu machen, sondern Zugeständnisse muss Mazedonien machen, das in die Nato hineingezogen werden soll“, zitierte die staatliche kontrollierte Nachrichtenagentur Ria den Minister. Ria berichtet übrigens seit Wochen regelmäßig und voller Sympathien darüber, wie sich in der Namensfrage in Griechenland „die Stimme des Volkes“ gegen die eigene Regierung erhebe. Es könnte durchaus sein, dass die vom Kreml unterstützte Stimme des Volkes sich durchsetzt.

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