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Krieg der Knöpfe : Warum nukleare Drohungen so gefährlich sind

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So sieht der „atomare Knopf“ tatsächlich aus. Ein Koffer mit den Codes zum Start des amerikanischen Nukleararsenals begleitet den Präsidenten stets. Bild: Reuters

Spätestens seit der Korea-Krise sind Muskelspiele mit Atombomben wieder salonfähig geworden. Der Welt droht damit ein Desaster. Ein Gastbeitrag.

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          Als Wladimir Putin nur wenige Monate nach dem Einmarsch auf der Krim die internationale Gemeinschaft erinnerte, dass „Russland eine führende Nuklearmacht“ sei, mit der „man sich besser nicht anlegt“, war die Aufregung zunächst groß. Gewöhnlich nehmen zumindest die fünf offiziellen Nuklearwaffenstaaten – China, Frankreich, Großbritannien, Russland und Amerika – für sich in Anspruch, einen verantwortungsvollen Umgang mit ihren Nuklearwaffenarsenalen zu pflegen. In besonderem Maße gilt dies natürlich für ihre Staatsoberhäupter. Obwohl verbale nukleare Drohungen während des Kalten Kriegs ganz selbstverständlich zum politischen Repertoire gehörten, kamen sie doch in den vergangenen Jahrzehnten zunächst immer mehr außer Mode. Und das zurecht. Frei nach dem Motto: Nuklearwaffen hat man, man muss damit nicht auch noch prahlen.

          Doch spätestens seit die Beziehungen Russlands zum Westen auf Talfahrt sind, ist nukleares Muskelspiel wieder salonfähig geworden. Hier eine flapsige Antwort eines hohen Duma-Abgeordneten auf die vorübergehende Stationierung von 330 amerikanischen Soldaten in Norwegen. Dort eine sehr deutliche Warnung des russischen Botschafters in Kopenhagen, den Raketenschirm der Nato nicht mit dänischen Kriegsschiffen zu unterstützen. Gerade in Moskau sitzt die verbale nukleare Drohung sehr locker. Man könnte auch sagen: zu locker.

          Mit Donald Trump haben die Vereinigten Staaten nun erstmals einen Präsidenten, der den Säbelrasslern in Moskau in nichts nachsteht. Für Trump sind Nuklearwaffen zunächst ein offensichtliches Zeichen amerikanischer Macht, und damit – ganz im Sinne von „Make America Great Again“ – ausbaufähig. Amerikas Arsenal (momentan geschätzte 4.480 Sprengköpfe) müsse „deutlich gestärkt und erweitert“ werden, forderte Trump noch kurz vor seiner Vereidigung. Die Frage, was man mit so vielen Megatonnen Vernichtungskraft anfängt, trieb laut unbestätigten Berichten schon den Kandidaten um. „Warum können wir sie nicht benutzen?“ soll Trump mehrfach seine Berater gefragt haben.

          Als Kim Jong-un – ein weiterer Vertreter der neuen nuklearen Protzkultur – vor wenigen Tagen in seiner Neujahrsbotschaft scheinbar lapidar erklärte, dass der Atomknopf immer auf seinem Tisch sei, ließ sich Trump nicht lange bitten. Man solle Kim doch bitte mitteilen, dass auch er, Trump, einen nuklearen Knopf habe – aber deutlich größer, kraftvoller und funktionsfähig, prahlte der amerikanische Präsident auf Twitter.

          Putin, Trump und Kim Jong-un – Männer mit großen Egos und noch größerem Geltungsbedürfnis – eint nicht nur ihr scheinbar archaisches Verhalten. Vielmehr ist den drei ein äußerst gedanken- und rücksichtsloser Umgang mit etablierten Sicherheitskonzepten gemein. Seit Anbeginn des Nuklearzeitalters, und vor allem in Folge der Kubakrise, gelten die einhegenden Mechanismen der gegenseitigen Abschreckung, der bündnispolitischen Zusicherung und der multilateralen Nichtverbreitung. Deren Grenzen werden von Putin, Trump und Kim Jong-un nun zunehmend ausgetestet.

          Dabei beruht das Prinzip der Abschreckung zunächst auf der Fähigkeit, den jeweils Anderen, unter Androhung glaubhaft harscher Konsequenzen, von einer bestimmten Handlung abzuhalten. Abschreckung gilt so lange als erfolgreich, so lange der Status Quo gewahrt bleibt. Natürlich muss man bei diesem, vor allem psychologischen, Kräftemessen peinlichst darauf achten, die eigene Drohung nicht zu übertreiben. Denn wer übertreibt, riskiert, dass der Andere doch zuschlägt, entweder aus Panik oder weil er einen Bluff vermutet. Obwohl nukleare Abschreckung den Rückfall in das Staatengemetzel des frühen 20. Jahrhunderts verhindern soll, schwebt somit doch permanent das Damoklesschwert des potentiellen Missverständnisses über ihr.

          Russlands wiederholte nukleare Drohungen haben längst dazu geführt, dass die Nato wieder die eigene Abschreckungsdoktrin hinterfragt. Wie ernst es dem Kreml dabei ist, lässt sich nicht mehr zweifelsfrei sagen. Unlängst berichtete die Bild-Zeitung, Russland habe in einem Militärmanöver die Bombardierung Norddeutschlands geprobt. Dass Moskaus strategische Bomber vom Typ Tu-95 sich in einem solchen Szenario niemals, wie vermutet, der deutschen Küste nähern würden und somit auch jegliches zitierte „Überraschungselement“ militärstrategischer Humbug ist, fiel zugunsten einer aufgeregten Story flach. Interessen und Fakten treten in den Hintergrund; Spekulation und diffuse Ängste bestimmen den Diskurs – ein perfektes Umfeld für Missverständnisse und unbeabsichtigte Eskalation.

          Auf der koreanischen Halbinsel hat dieses gefährliche Imponiergehabe bereits eine deutlich risikoreichere Qualität. Während Trump fleißig twittert und „Feuer und Zorn“ ankündigt, befinden sich teilweise bis zu drei amerikanische Flugzeugträger gleichzeitig in der Region. Daran ändert auch seine jüngste Kehrtwende an diesem Donnerstag nichts. Wer weiß schon, wie lange dieser Präsident der Kehrtwenden die koreanischen Gespräche begrüßt. Wer will ausschließen, dass eine abermalige Kombination aus scharfen Worten und massiver Machtdemonstration nicht doch Panik in Pjöngjang auslöst? Dass Kim Jong-un mit schwitzigen Fingern eben doch an bewusstem Knopf nestelt? Oder umgekehrt: dass Nordkoreas Potentat Trumps Ausfälle als heiße Luft (miss)versteht und neue, vielleicht erpresserische Ziele formuliert?

          Der Autor, Dr. Ulrich Kühn, ist Senior Research Associate am Vienna Center for Disarmament and Non-Proliferation (VCDNP) und Non-Resident Scholar am Carnegie Endowment for International Peace. Auf Twitter finden Sie ihn unter @UliTKuehn.
          Der Autor, Dr. Ulrich Kühn, ist Senior Research Associate am Vienna Center for Disarmament and Non-Proliferation (VCDNP) und Non-Resident Scholar am Carnegie Endowment for International Peace. Auf Twitter finden Sie ihn unter @UliTKuehn. : Bild: privat

          Mindestens genauso schwer wiegt die Vernachlässigung der Bündnispartner durch Trump. Erweiterte Abschreckung, das heißt die Zusicherung, sich im Zweifelsfall für den kleineren Verbündeten ins Feuer zu begeben, hängt zwangsläufig an deren Glaubhaftigkeit. Und diese speist sich eben nicht ausschließlich aus militärischen Potentialen sondern eben auch aus der Fähigkeit, diese in eine kohärente Politik einzubetten. Doch Trumps Twitter-Anfälle zeigen exemplarisch, wie wenig ihn Südkoreas Führung, und politische Prozesse generell, interessieren. Kein Wunder also, dass national-konservative Kräfte in Seoul, auch desillusioniert von Washington, immer wieder über die Möglichkeit der eigenen nuklearen Bewaffnung und mehr Unabhängigkeit vom großen Beschützer nachdenken.

          Wer könnte es Staaten wie Südkorea, Japan, Saudi-Arabien oder Iran verdenken, sich in einem Umfeld nuklearer Prahlerei und machtpolitischer Rücksichtslosigkeit zunächst vor allem auf die eigene Stärke zu verlassen? Klar, auf der Strecke bliebe das über Jahrzehnte mühsam vertraglich errichtete System der multilateralen nuklearen Nichtverbreitung. Die einst von John F. Kennedy als „größtmögliche Gefahr“ bezeichnete Dystopie einer Welt mit bis zu 25 nuklear-bewaffneten Staaten würde wohl traurige Realität.

          So steht die nukleare Drohung, ob russischer, amerikanischer oder nordkoreanischer Natur, am Anfang einer potentiell desaströsen Entwicklung. Die gute Nachricht aus Washington ist, Trump hat gar keinen „nuklearen Knopf“. Die schlechte ist, stattdessen hat er eine kleine Plastikkarte mit den nuklearen Startcodes eingraviert – Symbol der alleinigen Autorität des amerikanischen Präsidenten, jederzeit einen Nuklearschlag anzuordnen. Angesichts dieser Realität kann man nur noch völlig ironiebefreit aus einem weiteren Tweet des einstigen Immobilionmilliardärs zitieren. Am 31. August 2013 schrieb Trump über die damalige Obama-Regierung: „Bereiten Sie sich vor, es besteht durchaus die Möglichkeit, dass unsere schreckliche Führung uns unbewusst in den dritten Weltkrieg führen könnte.“

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