Korruptionsaffäre in der Türkei : Kritik an Erdogan wird immer heftiger
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Ankara am Samstag: Tausende demonstrieren gegen Korruption Bild: AP
Der türkische Ministerpräsident habe sich „für das Modell Putin als Regierungsform entschieden“, sagt der Grünen-Vorsitzende Özdemir. Außenminister Steinmeier sieht Erdogans Politik in einer „Bewährungsprobe“.
Angesichts der Korruptionsaffäre in seinem Umfeld gerät der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan auch im Ausland zunehmend unter Druck. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, Elmar Brok (CDU), sagte am Samstag im Deutschlandfunk, Erdogan habe „seinen Zenit überschritten“. Brok und andere deutsche Politiker betonten zugleich, wie wichtig es sei, der Türkei weiter eine europäische Perspektive zu geben.
Erdogan versuche, „alle Mittel einzusetzen“, um sich an der Macht zu halten, sagte Brok. „Große Teile, die einen säkularen Staat haben wollen, die einen sauberen Staat haben wollen, wenden sich ab.“ Zur EU-Perspektive der Türkei sagte Brok, „nicht der Beitritt“ sei das Ziel, „sondern eine enge Bindung im Rahmen einer europäischen Wirtschaftsrunde“. Es sei wichtig, dass die Türkei im „westlichen Lager“ bleibe und nicht in einen „islamistischen Prozess“ abrutsche. Zuvor hatte sich auch der für die Erweiterung zuständige EU-Kommissar Stefan Füle „zunehmend besorgt“ über die Lage in der Türkei gezeigt.
„Die Türkei wird als stabiler Anker gebraucht“
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) forderte in der „Bild am Sonntag“, in der Türkei müssten „die im Raum stehenden Korruptionsvorwürfe ohne Ansehen der Person aufgeklärt werden“. „Das zu gewährleisten, ist Bewährungsprobe für jede auf Rechtsstaatlichkeit bauende Politik“, sagte er. Deutschland verfolge die Entwicklungen „mit großer Aufmerksamkeit“. Die Türkei werde „als stabiler Anker gebraucht“.
Der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), sagte dem „Handelsblatt“: „Rechtsstaatlichkeit und konsequente Bekämpfung von Korruption sind unabdingbare Voraussetzungen für einen Beitritt zur Europäischen Union.“ Es sei im Interesse der Türkei zu beweisen, dass sie eine „krisenfeste Demokratie“ sei.
Erdogans Regierung wird seit Tagen von einem Korruptionsskandal erschüttert. Seit vergangener Woche wurden dutzende Geschäftsleute und Politiker aus seinem Umfeld festgenommen. Am Mittwoch tauschte Erdogan zehn Minister aus, darunter drei kurz zuvor wegen des Korruptionsskandals zurückgetretene Ressortchefs. Hintergrund der Affäre ist laut Erdogan ein Machtkampf mit der Bewegung des im Exil lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen.
„Erdogan hat sich für das Modell Putin entschieden“
Die Autorität des seit dem Jahr 2002 amtierenden Erdogan ist vier Monate vor den Kommunalwahlen angeschlagen. In Istanbul und Ankara hatten am Freitag tausende Demonstranten den Rücktritt der Regierung gefordert. Die Polizei ging mit Wasserwerfer und Tränengas gegen sie vor.
Der SPD-Abgeordnete Rolf Mützenich sagte „Handelsblatt Online“, die Vorwürfe Erdogans, wonach es sich bei den Korruptionsermittlungen um eine ausländische Verschwörung handele, entbehrten jeder Grundlage. Vielmehr handele es sich um einen Versuch der Einschüchterung und Ablenkung. Die Linkspartei-Abgeordnete Sevim Dagdelen forderte die Bundesregierung auf, angesichts von Erdogans Vorgehen gegen die Justiz ihre sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit der Türkei zu überprüfen.
Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir kritisierte, Erdogan habe sich „offensichtlich für das Modell Putin als Regierungsform entschieden“. Ähnlich wie der russische Präsident setze der türkische Ministerpräsident auf „autoritäre Herrschaft und prall gefüllte Taschen für das unmittelbare Umfeld“, sagte Özdemir dem „Tagesspiegel am Sonntag“.