
Korruption in der Ukraine : Kein Argument gegen westliche Hilfe
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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am 6. Dezember 2022 nahe Slowjansk im Osten der Ukraine Bild: via REUTERS
Wer der Ukraine wohl will, sollte sie nicht idealisieren. Ein realistischer Blick auf das Land zeigt erst recht, warum der Westen noch viel mehr zu seiner Unterstützung tun sollte.
Vor dem russischen Überfall war die Ukraine weit davon entfernt, ein idealer Staat zu sein. Oft sah es so aus, als trete das Land auf der Stelle im Kampf gegen die Herrschaft der Oligarchen und gegen Korruption. Im Namen dieses Kampfes hatte vor acht Jahren in Kiew die „Revolution der Würde“ stattgefunden. Das harte Ringen verschiedener Interessengruppen um Einfluss in den staatlichen Institutionen war mitunter so intransparent, dass Bock und Gärtner kaum unterschieden werden konnten.
Doch auf fürchterliche Weise hat die russische Diktatur mit ihrem Angriff auf die demokratische Ukraine den Beweis dafür herbeigeführt, wie sehr sich das Land seit der Revolution zum Besseren verändert hatte: Unter den extremen Bedingungen des Kriegs zeigen sich die Funktionstüchtigkeit des ukrainischen Staates und die Lebendigkeit der ukrainischen Gesellschaft.
Der Erfolg des Widerstands gegen die Invasoren liegt auch darin begründet. Es wäre indes weltfremd, zu erwarten, in diesem Abwehrkampf seien die vielen Mängel und Schwächen des ukrainischen Staates über Nacht verschwunden. Es ist keine Überraschung, dass Korruption für manche Politiker und Staatsdiener im Krieg ein blühendes Geschäft geblieben ist.
Die nun bekannt gewordenen Affären sind kein Argument gegen die weitere westliche Hilfe für die Ukraine. Im Gegenteil: Dass die ukrainischen Medien sogar unter den jetzigen Umständen über Machtmissbrauch recherchieren und dass Präsident Wolodymyr Selenskyj ihnen dafür dankt, ist ein positives Zeichen. Auch darin unterscheidet sich die Ukraine fundamental von Russland: Dort dient dem Regime der von ihm selbst begonnene Krieg als Begründung dafür, dieser Tage die letzten Reste Transparenz über Einkünfte von Politikern und Beamten abzuschaffen. Wer der Ukraine wohlwill, sollte sie nicht idealisieren. Ein nüchterner, realistischer Blick auf das Land und seinen Feind zeigt erst recht, warum der Westen noch viel mehr für die Ukraine tun müsste.