
Terror in Halle : Schüsse aus dem Bodensatz der Gesellschaft
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Polizisten in Landsberg in der Nähe von Halle Bild: dpa
Antisemitische Gefährder in Deutschland wagen sich aus ihren Verstecken, weil sie sich im Bodensatz der Gesellschaft frei bewegen können. Sicherheitsbehörden und Politik müssen sich unangenehme Fragen stellen lassen.
Die Türen der Synagoge hielten dem Terroranschlag stand. So groß der Schrecken der todbringenden Schüsse, die in Halle fielen, ohnehin auch war, das noch viel Schlimmere, ein Angriff auf die jüdische Gemeinde, konnte wohl verhindert werden. Der hätte vermutlich in einem Blutbad geendet. Auch wenn die Hintergründe der von der Polizei zunächst als „Amoklage“ eingestuften Taten noch nicht geklärt sind, dürfen doch als deren Ziel die Menschen in der Synagoge gelten, die sich dort zum Jom-Kippur-Fest versammelt hatten. Auch deshalb übernahm der Generalbundesanwalt noch am Nachmittag die Ermittlungen.
Die Warnungen aus den jüdischen Gemeinden in ganz Deutschland haben sich damit abermals und auf tragische Weise bestätigt. Wie sehr sich ein neu entfachter Antisemitismus radikalisiert hat, zeigt sich in dem paramilitärischen Aufzug der oder des Täter(s). Martialisches Auftreten konnte bislang in das Reich einer verirrten rechtsextremistischen Subkultur verwiesen werden. Dass sie sich aus ihren Verstecken traut und in dieser Form aus Worten und Ritualen Taten werden lässt, hat es in der Bundesrepublik noch nicht gegeben.
Geheimdienste, Sicherheitsbehörden und Politik müssen sich deshalb, wieder einmal, unangenehme Fragen stellen lassen: Sind die Täter namentlich bekannt? Wenn nicht, lässt sich diese Niederlage damit entschuldigen, dass Rechtsextremisten, die zu allem bereit sind, keine klassischen Organisationsformen wählen? Wenn sie gar doch bekannt waren, wie kamen sie an ihre Waffen und zu ihrem Vorgehen, das sicher geübt worden sein muss? Schließlich, angesichts der Häufung von Hass und Hetze mit Todesfolgen: Lässt sich noch behaupten, die Behörden hätten die Lage im Griff?
Um dieser Frage auszuweichen, wird gerne und durchaus zu Recht darauf hingewiesen, absolute Sicherheit vor derartigen Anschlägen gebe es nicht und zur Vorbeugung seien die Behörden auf die Wachsamkeit der Gesellschaft angewiesen. Fordert aber irgendjemand „absolute“ Sicherheit?
Traurige Wahrheit ist doch, dass sich rechtsextremistische und antisemitische Gefährder in Deutschland schon seit Jahren wieder frei im Bodensatz der Gesellschaft bewegen können, einem Bodensatz, der nicht nur in Sachsen-Anhalt politisch Morgenluft wittert. Dieses unrühmliche Kapitel der jüngsten Geschichte der Republik überschattete am Mittwoch auch das Gedenken an die Revolution vor dreißig Jahren.