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Papst und Erziehung : Ein bisschen hauen

Papst Franziskus hat mit seinen kontroversen Aussagen über das Schlagen von Kindern für Aufsehen gesorgt. Bild: dpa

Der Papst hat gesagt, Eltern dürften Kinder schlagen. Warum schweigen die deutschen Bischöfe dazu?

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          Den Papst kann man nicht ignorieren – auch, wenn man kein Katholik ist oder in Dresden für seine ganz private Idee vom Abendland auf die Straße geht. Der Papst sagt indiskutable Dinge, und alle, die glauben, dass das Christentum zu Deutschland gehört, hängen mit drin.

          Diese Woche hat der Heilige Vater sich zur Erziehung von Kindern geäußert. Er findet, dass Eltern Kinder schlagen dürfen, um sie zu bestrafen. Dabei gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute: Der Papst hat nicht gesagt, dass es im Sinne des Herrn sei, seine Kinder fortwährend zu verprügeln. Die schlechte: Das ist dann auch alles. Franziskus erzählte seinen Zuhörern die Anekdote von einem Vater, der gesagt habe, er müsse seine Kinder manchmal ein bisschen schlagen, aber nicht ins Gesicht. Der Papst dazu: „Wie schön! Er hat einen Sinn für Würde. Er muss bestrafen, er macht’s auf rechte Weise, und dann geht es normal weiter.“

          Katholische Verbände haben sich klar distanziert

          In Deutschland ist es verboten, Kinder zu schlagen, egal ob „manchmal“, „ein bisschen“ oder „nicht ins Gesicht“. Es gilt das „Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung“. Die offenbar andere Meinung des Papstes zu diesem Thema gilt in Deutschland nicht. Das haben auch katholische Verbände hierzulande deutlich gemacht. Sie haben sich klar von jeder Gewalt gegen Kinder distanziert und auch gesagt, dass es kein würdiges Schlagen gibt. Doch muss man darüber nachdenken, was es bedeutet, dass viele andere Christen bemüht waren, den Papst zu entschuldigen oder gleich festzustellen, dass es gar nichts zu entschuldigen gebe.

          Vatikansprecher Lombardi weist darauf hin, dass Franz ja keineswegs ausdrücklich zum Schlagen aufgefordert habe – als wäre das Lob des gemäßigten Hauens damit vom Tisch. Einer seiner Mitarbeiter, ein kanadischer Pfarrer, fragt listig: „Wer hat nicht schon einmal sein Kind gezüchtigt oder ist in seiner Kindheit von den Eltern gezüchtigt worden?“ Ja, da fielen einem schon einige Eltern ein, und einige weitere, die es sehr bereuen, ihre Kinder gezüchtigt zu haben, und nicht zuletzt ein paar Kinder, die vielleicht lieber nicht gezüchtigt worden wären, auch wenn man sich das als Kind nicht aussuchen kann, das ist ja gerade das Problem.

          Besonders zurückhaltend gibt sich die Bischofskonferenz, der Zusammenschluss aller katholischen Bischöfe in Deutschland. Auf ihrer Internetseite präsentiert sie sich noch gediegen „in Einheit mit dem Papst“ und stellt somit „die ganze Kirche im Band des Friedens, der Liebe und Einheit dar“. Die Aussage des Papstes zur Gewalt in der Erziehung will man nicht kommentieren. Zu der grundsätzlichen Aussage, man sei gegen das Schlagen von Kindern, will man sich auch nicht hinreißen lassen. Als wäre die Frage danach schon eine Belästigung, teilt eine Sprecherin mit, Pater Lombardi habe nun „mehrfach betont“, dass Franz auf keinen Fall dazu aufrufen wollte, Kinder zu schlagen. „Und natürlich tun auch wir das nicht.“ Man ist offenbar fest entschlossen, die Sache auszueiern.

          Zu wem spricht der Papst?

          Es ist allerdings schon das dritte Mal in diesem Jahr, dass Papst Franz übers Ziel hinausschießt, es sei denn, das Ziel wäre, krass zu sein. Zunächst hatte Franz nach dem Terroranschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ zu bedenken gegeben, wer andere kränke, müsse mit Konsequenzen rechnen. Wer etwa seine, Franz’ Mutter beleidige, den erwarte ein Faustschlag. Derlei Umgang mit seinen Nächsten steht eher in der Tradition von Bud Spencer als von Jesus Christus, aber man konnte darin noch den Ausdruck der vielgerühmten Volksnähe des Papstes sehen. Allerdings konnte man sich auch über das Timing wundern; die Bemerkung stand immerhin in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Massaker. Ein paar Tage später erteilte Franziskus allen Katholiken den Rat, sie müssten sich nicht wie „Karnickel vermehren“. Drei Kinder pro Ehepaar seien ideal.

          Der Papst stammt aus Südamerika. Ganz offensichtlich spricht er nicht zu den Deutschen. Wie die Katholiken in Mitteleuropa leben, ist ihm anscheinend egal oder unklar. Seine praktische Lebenshilfe gilt anderen, womöglich Menschen auf fernen Kontinenten und in fremden Kulturkreisen. Natürlich bestehen da, um das Mindeste zu sagen, Ungleichzeitigkeiten. Menschen-, gar Kinderrechte genießen auf diesem Planeten nicht überall denselben Status. Eine Weltreligion kann nicht so tun, als spiele sie bloß in Europa. So gesehen könnte man sagen: Ist doch gut, wenn der Papst Eltern anspricht, für die es noch alltäglich ist, Kinder ins Gesicht zu misshandeln. Es ist schon etwas gewonnen, wenn diese Leute lernen, dass das die Würde verletzt, und dazu übergehen, nur „manchmal ein bisschen“ zu schlagen. So war es gewiss auch gemeint.

          Die Kirche hat ihre eigene Gewaltgeschichte

          Aber so funktioniert es nicht. Der Papst kann sich so wenig auf eine europäische Zielgruppe spezialisieren wie auf eine außereuropäische. Er spricht verbindlich zu allen. Und auch für einen Papst gilt: nur, weil jemand ein offenes Wort schätzt, heißt es nicht, dass er alles aussprechen muss. Viele lobten Franz, weil er sein Amt so unbefangen angeht, und alle Welt fühlte sich erfrischt von seinem spitzbübischen Lächeln und der Bescheidenheit und dem frischen Wind, der durch alle Gassen pfiff. Aber jetzt zieht es plötzlich.

          Was der Papst zur Kindererziehung gesagt hat, ist von anderer Qualität als alles davor. Auch Geistliche im Vatikan, die Franziskus wohlgesinnt sind, sagen: „Er hat sich vergaloppiert.“ Gewalt gegen Kinder ist ganz sicher kein Thema, zu dem Bischöfe, und seien es Bischöfe von Rom, noch beiläufig daherreden können. Die Kirche hat hier ihre eigene Gewaltgeschichte: eine noch längst nicht vergangene Vergangenheit. Da kann Vatikansprecher Lombardi noch zehnmal darauf hinweisen, dass Franziskus immer wieder Zuneigung und Zärtlichkeit Kindern gegenüber zeige. Die katholische Kirche sollte vielmehr den Anspruch erfüllen, den sie an andere stellt: sich kritisch mit sich selbst auseinanderzusetzen. Was wäre falsch daran, dem Papst seine Erziehungstipps – rein metaphorisch, und ohne seine Würde zu verletzen! – um die Ohren zu hauen, wenn man sie denn missbilligt? Er würde es schon verkraften. Wer, wenn nicht er? Solange Institutionen wie die Bischofskonferenz es nicht schaffen, ein deutliches Wort zu finden, wenn der Papst das Schlagen von Kindern gutheißt, ist etwas faul im christlichen Abendland. Und daran ist dann ausnahmsweise mal nicht der Islam schuld.

          Friederike Haupt
          Politische Korrespondentin in Berlin.

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