Sind wir noch ein Volk?
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Wer ist welches Volk? Demonstration von Rechtspopulisten in Chemnitz im September. Bild: dpa
Durch die Gesellschaft in Deutschland geht ein Riss. 2018 ist er noch einmal tiefer geworden. Das hat die Landschaft der Parteien verändert. Ein Kommentar.
Zu den Sätzen des Jahres gehört dieser von Robert Habeck: „Es gibt kein Volk.“ Das war natürlich falsch, weshalb der Grünen-Vorsitzende nachschob: „Die Idee eines ethnisch-identitären Volkes ist totalitär und ausgrenzend“. Habeck wollte eine Unterscheidung treffen zwischen dem deutschen Volk im Sinne des Staatsvolks und dem Volk im Sinne der Ethnizität, also der Abstammung und Gruppenzugehörigkeit. Ethnologen und Ethnographen werden erstaunt zur Kenntnis genommen haben, dass die Grundlage ihrer Wissenschaften als Ausgeburt totalitären Ideenguts gebrandmarkt wurde – und das von einem Politiker, dessen eigene Partei in ihren Programmen ganz selbstverständlich von Völkern im ethnischen Sinn spricht: aber nur, wenn es um Entwicklungsländer geht.

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Habecks Satz ist deshalb so aufschlussreich, weil er recht präzise den Riss bezeichnet, der durch Deutschland geht und der 2018 noch einmal tiefer geworden ist. Eigentlich ist das nichts Neues. Der Streit zwischen Ethnos und Demos durchzieht die deutsche Geschichte wie die der meisten europäischen und amerikanischen Staaten seit der Französischen Revolution. Er handelt davon, wie sich der demokratische Staat definieren soll: Allein durch das Volk seiner Staatsbürger oder durch das Volk seiner „Stämme“? Ist ein „echter“ Deutscher also etwas anderes als ein Deutscher? Noch die Väter und Mütter des Grundgesetzes dachten, obwohl gerade diese Frage ihr Land in den physischen und moralischen Abgrund getrieben hatte, in beiden Kategorien. Das Volk im Grundgesetz ist für sie das Volk der deutschen Staatsbürger, aber wenn es um die Grenzen der Bundesländer ging, war genauso klar, dass sie sich nach den Grenzen der „deutschen Stämme“ zu richten hatten.
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