
Kirche : Auf den Pfarrer kommt es an
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Ein Gericht ohne Richter? Ein Krankenhaus ohne Arzt? Nicht vorstellbar. Eine Kirche ohne Pfarrer scheint schon weniger paradox. Dabei stellt die Pfarrerschaft ein immenses Kapital dar.
Das Gericht ohne Richter wird vermutlich ebenso ein Hirngespinst bleiben wie das Krankenhaus ohne Arzt. Bei der Kirchengemeinde ohne Pfarrer ist man dem Paradox schon einige Schritte näher gekommen: Gemeinden, die zusammengelegt werden, und solche, die über lange Zeit ohne Pfarrer auskommen müssen; Kirchenmitglieder, die den Namen des für sie zuständigen Pfarrers nicht kennen, und Gemeindeämter, die telefonisch nur an Dienstagen von neun bis elf erreichbar sind. Der Befund gilt für beide großen Kirchen. Überspitzt gesagt: Mit dem Verzicht auf einen besonderen Priesterstand ist in der evangelischen Konfession in der Theorie kühn vorweggenommen, was die katholische Kirche hierzulande in Ermangelung von Nachwuchs inzwischen an vielen Orten praktiziert.
Kaum zu bestreiten ist jedenfalls, dass die Distanz zwischen der Pfarrerschaft und den Kirchenmitgliedern in beiden Konfessionen gewachsen ist. In den Kirchen müsste ein solcher Befund eigentlich alarmierend und aktivierend zugleich wirken - schließlich ist in einer für sie schwierigen gesellschaftlichen Situation die Lenkung ihrer Pfarrerschaft die größte Stellschraube, an der ausschließlich sie selbst drehen können. Doch die Diskussion über das Berufsbild des Pfarrers ist seit Jahrzehnten übertheologisiert - überfrachtet durch eine Theologie, die das Berufsbild des Pfarrers mit wechselnden Idealvorstellungen der Kirche kurzschließt.
Im Sog klerikaler Machtphantasien
Entweder gerät das Berufsbild des Pfarrers in den Sog klerikaler Machtphantasien, sakralisierter Hierarchien und einer zu starken Fokussierung auf die Liturgie. Oder aber die Bedeutung der Pfarrer wird heruntergespielt, indem sie mit dem Pathos des „Priestertums aller Gläubigen“ den anderen Berufsgruppen, etwa den Religionspädagogen und Kirchenmusikern, gleichgestellt oder als Dienstleister der Ehrenamtlichen gesehen werden. Hier wie dort wird die Rolle des Pastors letztlich mit Mitteln der Dogmatik bestimmt. Und es sind oft genug Stimmen aus der Pastorenschaft selbst, die es als „Ökonomisierung“ verdammen, wenn man den Pfarrberuf von den Bedürfnissen und Erwartungen der Mitgliederschaft her betrachtet.
Die aufwendige, vor einigen Wochen vorgestellte Mitgliedschaftsstudie der Evangelischen Kirche in Deutschland belegt, dass die Pfarrer als die Repräsentanten der Kirche schlechthin wahrgenommen werden. Die Pfarrer sollten sich also weder pfarrherrlich in einem Binnenmilieu einrichten noch durch Selbstnivellierung vor der Bedeutung flüchten, die ihnen von den meisten Menschen zugeschrieben wird.
Denn eine erkennbare und erreichbare Pfarrerschaft kann für eine Kirche ein immenses Kapital sein. Wer einen Pfarrer kennt, tritt in der Regel nicht aus der Kirche aus. Dabei kommt es kaum darauf an, ob man den Pfarrer schon oft gesprochen, ob man ihm zweimal die Hand gegeben hat, ob man ihn sogar nur vom Sehen kennt oder bloß seinen Namen - so oder so kommt ein Kirchenaustritt dann in mehr als neunzig Prozent der Fälle nicht mehr in Frage, wie die Studie belegt. Für diejenigen, die gerne eine gewisse Distanz zur Kirche wahren, scheint die Person des Pfarrers an Bedeutung sogar zu gewinnen. Ist einem der Pfarrer hingegen überhaupt kein Begriff mehr, wird sehr schnell die Abbruchkante der kirchlichen Bindungskraft erreicht.
Die Kirchen werden sich anstrengen müssen
Die Kirchen wären also gut beraten, wenn möglichst viele ihrer Pfarrer möglichst viele Kontakte zu möglichst vielen ihrer Mitglieder hätten - und sie ihre Personalregister darauf durchgingen, bei wie vielen die Stellenbeschreibung das nicht vorsieht. Es dürften vor allem in der evangelischen Kirche nicht eben wenige sein.
Denn es sind nicht politische Positionspapiere oder gewinnende Auftritte von Bischöfen, die Bindung erzeugen, sondern es ist der Kontakt mit den Pfarrern, vor allem den Gemeindepfarrern. Solche Bindung wird bereits dann gefestigt, wenn der Pfarrer auf dem Straßenfest ein Grußwort spricht. Vor allem aber entsteht solche Bindung, wenn die Pfarrerin in den Gottesdiensten an Festtagen oder bei Anlässen wie einer Taufe, einer Konfirmation, einer Trauung oder einer Bestattung die richtigen Worte findet.
Hier hätte die Theologie ihren vornehmsten Platz. Denn die Fähigkeit, den christlichen Glauben in verschiedenen Situationen prägnant auf den Begriff zu bringen - das ist die Kernkompetenz eines Pfarrers. Sie erfordert ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen, an Sprachgewandtheit, an geistiger Selbständigkeit. Diese Talente besitzt bei weitem nicht jeder.
Die Kirchen werden sich anstrengen müssen, für junge Leute mit Anspruch und Ehrgeiz als Arbeitgeber noch in Betracht zu kommen. Dafür müssen vor allem die Pfarrstellen in den Gemeinden attraktiver und von bürokratischen Aufgaben entlastet werden. Auch Beschränkungen wie die Residenzpflicht könnten überdacht werden. Wer sich Religion als Beruf vorstellen kann und dafür geeignet ist, sollte nicht aus anderen Gründen davon abgehalten werden.