
Kanzlerkandidatur : Steinbrücks Beinfreiheit
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Sein größtes Manko hält Steinbrück offenbar für seine größte Stärke: die Distanz zur eigenen Partei. Wie lange geht das gut?
Wie eine Erlösung wirkt das erste Wochenende der Kanzlerkandidatur Peer Steinbrücks nicht. Das war vorherzusehen, denn bei allen Vorzügen, die Steinbrück gegenüber Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier haben mag, er ist und bleibt der Mann, den die Partei nicht haben wollte. Spätestens seit dem Berliner Parteitag im Dezember stand das fest. Vielmehr war er davor und danach der Kandidat der Umfragen und der Medien, die den Köder der Troika vor mehr als einem Jahr zwar begierig aufnahmen, ihn zuletzt aber, so sind sie eben, mit ebenso großer Begeisterung wieder ausspuckten.
Steinbrück wäre nicht Steinbrück, wenn er nicht ausgerechnet dieses Manko, das er offenbar für seine größte Stärke hält, sogleich zum Thema machte. Kaum hat ihn der Parteivorsitzende vorgeschlagen, fordert er „Beinfreiheit“ gegenüber der eigenen Partei. Das beruht auf seinem Überlegenheitsgefühl und einer Staatsmannssucht, die sich der Kanzlerkandidat einer Partei eigentlich für den Tag aufheben sollte, nach dem er zum Kanzler gewählt wurde.
Für einen Wahlerfolg ist zwar der Eindruck, über der eigenen Partei zu stehen, gar nicht einmal eine so schlechte Voraussetzung. Doch aus gutem Grund kandidieren deshalb in der Regel die Parteivorsitzenden für das Kanzleramt. Die haben Beinfreiheit schon kraft ihres Amtes und manchmal sogar Ellenbogenfreiheit. Steinbrück aber muss das bisschen Freiheit, das er will, nicht etwa Sigmar Gabriel abtrotzen, sondern Parteigenossen wie Ralf Stegner. Das ist so, als ob ein Gefesselter beim Gefängniswärter darum wimmert, doch wenigstens vom Knebel befreit zu werden.
Die Kandidatur Steinbrücks ist deshalb nicht Ausdruck seiner zur Schau getragenen Souveränität. In ihr steckt noch die Verunsicherung, die schon vor der Wahl von 2009 am Schwielowsee zum Karriereknick Kurt Becks führte. Auch dabei spielte die veröffentlichte Meinung eine herausragende Rolle. Die Partei verspielte damals die Möglichkeit, zu sich selbst zu finden, und schlidderte in eine tiefe Krise.
Ob Rente, ob Steuern, ob Europa - Peer Steinbrück wird deshalb sicherlich ungeahnte Beweglichkeit an den Tag legen müssen, und die SPD mit ihm vielleicht wieder etwas Selbstbewusstsein gewinnen. Aber für Steinbrück wie für die SPD gilt: Beinfreiheit wird daraus nicht.