Befreiung vom IS : Die Schmach von Sindschar sitzt tief
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Deutsche Hilfe: Kurdische Peschmerga mit „Milan“ Panzerabwehrsystem der Bundeswehr Bild: Getty
Kurdische Peschmerga haben die frühere Hochburg der Yeziden aus den Händen des IS befreit. Doch andere Milizen machen ihnen den Machtanspruch streitig. Und auch der Krieg ist noch lange nicht vorbei. Ein Frontbesuch.
Das dumpfe Wummern der Granateinschläge bringt den General nicht im Geringsten aus der Ruhe. Regungslos steht Komaran Desko Haji vor dem aus Erde aufgeschütteten Schutzwall, der die kurdischen Peschmerga vor dem immer noch nahen Feind trennt. Die Häuser dort drüben kontrolliere der „Islamische Staat“, sagt der Kommandeur der kurdischen Spezialeinheit „Gulan Division“ und zeigt auf zwei nur wenige hundert Meter entfernte weiße Gebäude. Der Beschuss aber sei von weiter südlich gekommen, aus der Nähe des Ortes Baadsch. Dorthin habe sich die Führung der Dschihadisten nach der verlorenen Schlacht um Sindschar zurückgezogen.
Dennoch ist seit jenem Freitag, dem 13. November, als den Peschmerga die Rückeroberung der Stadt Sindschar gelang, keine Ruhe an der Front eingekehrt. Es war allenfalls ein Etappensieg im langen Krieg gegen die Terroristen des IS. Ständig fahren neue Truppentransporter und Geländewagen an dem behelmten Brigadegeneral vorbei, der zehn Tage nach dem Einmarsch in die einstige Hauptstadt der irakischen Yeziden immer noch in voller Kampfmontur seine Einheiten befehligt.
Ein paar Soldaten befestigen Scheinwerfer an dem Erdwall, mit denen die Bewegungen der IS-Kämpfer in der Nacht sichtbar gemacht werden sollen. Die Läufe der auf Pritschenwagen montierten DSchK-Maschinengewehre sind auf die weißen Häuser gerichtet. Oben am blauen Himmel dröhnt es beständig, die Kampfflugzeuge der Allianz gegen den „Islamischen Staat“ (IS) sind seit Stunden unterwegs.
Lehre aus dem Fall Ramadis gezogen
Die von Brigadegeneral Haji und seinen Männern vorletzte Woche freigekämpfte Hauptstraße 47 südlich von Sindschar stünde wohl noch immer unter Kontrolle des IS, hätten Amerikaner und Briten nicht massiv dessen Stellungen in der Stadt bombardiert. „Wir haben eine Luftwaffe, die uns unterstützt, die Dschihadisten nicht“, sagt der 38 Jahre alte Elitekämpfer Haji und blickt suchend nach oben. Mit dem Langstreckenbomber B 1 und A-10-Erdkampfflugzeugen griff die Allianz an; seit den Anschlägen von Paris ist zudem auch die französische Luftwaffe verstärkt im Einsatz, wenn auch meist weiter westlich, über der syrischen Provinz Raqqa. Seine Leute hätten die GPS-Koordinaten der IS-Stellungen an die westlichen Verbindungsmänner vor Ort weitergegeben, sagt Haji, außerdem sei in Arbil, der Hauptstadt Irakisch-Kurdistans, inzwischen ein gemeinsames Kommandozentrum eingerichtet worden, um die eigentlich schon vor Monaten erwartete Offensive auf Sindschar zu koordinieren, sagt Haji. Nur so konnte es gelingen, die wichtigste Verbindungsstraße zwischen Raqqa und Mossul, den beiden Zentren des von IS-Anführer Abu Bakr al Bagdadi ausgerufenen Kalifats, zu unterbrechen: Nachschub zwischen Raqqa im Westen und Mossul im Osten ihres Herrschaftsgebiets müssen die Dschihadisten nun über schlecht ausgebaute Straßen weiter südlich organisieren.
Die eroberten Teile der Route 47 will General Haji deshalb mit aller Macht verteidigen: Mehr als 2500 Meter lang sind die Erdbefestigungen und Gräben, die seine Männer in den vergangenen Tagen parallel zu der Straße ausgehoben und errichtet haben. Überall entlang des rund sechzig Kilometer langen Teilstücks zwischen Mulah im Osten und Jardali im Westen sind Bagger, Radlader und Muldenkipper im Einsatz, um die Straßenböschung weiter aufzuschütten. Man habe aus den Fehlern des Vorjahres gelernt, sagt der Kommandeur, und aus dem Fall Ramadis im Mai: Obwohl die Regierungstruppen den islamistischen Angreifern in einem Verhältnis von zehn zu eins überlegen waren, hätten sie dem IS mit seinen Humvees, Artilleriegeschossen und Selbstmordattentätern nichts entgegenzusetzen gehabt. Nie wieder dürfe man sich von den „Terroristen“ überrumpeln lassen, so Haji.