Augenzeugenberichte : „Wenn ihr euch bewegt, töten wir euch“
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Nach dem Anschlag ist der Bataclan-Konzertsaal am Sonntag abgesperrt. Bild: AFP
89 Menschen bringen die Attentäter von Paris im Konzertsaal Bataclan um. Wahllos schießen sie in die Menge und die Rockfans fliehen in Panik. Viele liegen im Blut anderer Opfer, bevor sie es wagen, zu fliehen.
Die Zuschauer reagieren zunächst ungläubig, als am Freitagabend in der Konzerthalle Bataclan drei junge Männer mit Kalaschnikows am Eingang auftauchen. Doch dann fallen Schüsse, Menschen stürzen zu Boden, Panik bricht aus. Die Zuschauer des Rockkonzerts erkennen mit Entsetzen, dass es sich um einen Anschlag handelt. „Ich drehte mich um und sah zwei Typen mit Kalaschnikows. Sie waren normal gekleidet, Jeans und Turnschuhe“, erzählt Sylvain Raballant. „Ich dachte, sie schießen in die Luft, dann sah ich Leute fallen“.
Der 42 Jahre alte Mann wirft sich mit den anderen Zuschauern im Parkett auf den Boden. Das Konzert der amerikanischen Bluesrockband „Eagles of Death Metal“ im 1500 Zuschauer fassenden Saal ist ausverkauft, vor der Bühne stehen die Leute dicht gedrängt. „Sie schossen in die Menge, die Leute versuchten, über die Bühne zu entkommen, doch sie sagten uns: ’Wenn ihr euch bewegt, töten wir euch’“, berichtet Philippe. Der 35 Jahre alte Jurist, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte, hört einen der Angreifer sagen: „Was hier passiert, ist eure Schuld. Wir rächen unsere Brüder in Syrien.“
Die Fotografin Marion, die Fotos von dem Konzert macht, schrickt bei dem Wort Syrien auf. „Ich dachte an meinen Freund Rémi Ochlik und sagte mir, nicht ich“, erzählt die 39 Jahre alte Mitarbeiterin des Magazins „Rock and Folk“ mit Blick auf einen Kollegen, der 2012 in Syrien getötet wurde.
Marion stellt sich tot, die Zeit scheint still zu stehen. Sie spürt nicht einmal den Schmerz der Kugel, die sie an der Hüfte getroffen hat. „Erst als ich rausging, merkte ich, dass ich blute“, sagt Marion. Auch für David, einen 23 Jahre alten Rockfan, dehnt sich die Zeit endlos. „Wie in einem Film fordert ein Verhandlungsführer von dem Terroristen 20 Minuten“, berichtet David. Dieser akzeptiert unter der Drohung „alles in die Luft zu jagen“. „Stell dir die Hilflosigkeit vor“, sagt David.
Die Täter gehen methodisch vor
Loic Wiels, der in letzter Minute noch eine Eintrittskarte für das Konzert bekommen hatte, sieht drei Angreifer, zwei davon von Nahem. „Einer war ein junger Typ mit Drei-Tage-Bart. Der andere war glatt rasiert, trug eine kleine Brille und eine Art gelbes Barett“, sagt Loic. „Er trug, was ich zuerst für eine Schutzweste hielt – es war in Wahrheit ein Sprengstoffgürtel.“ Alle drei Attentäter sind mit den Gürteln ausgerüstet, die sie beim Zugriff der Polizei schließlich zünden.
Terror in Paris : Augenzeuge: „Die Attentäter wiesen uns an, uns hinzulegen“
Auch Anthony, der von der Menge zu Boden gedrückt wird, sieht beim Aufblicken über sich einen „bärtigen Kerl, nicht maskiert, eine Waffe in der Hand“. Er habe methodisch geschossen. „Ich wartete auf die tödliche Kugel“, sagt Anthony, doch er überlebt. Als jemand sagt, dass die Attentäter weg seien, versuchen alle rauszukommen. „Ich rutschte in einer tiefen Blutlache aus, wir krochen einer über den anderen“, sagt Anthony.
„Ich werde nie hinter mich schauen“
Als die Angreifer vom Parkett nach oben gehen, drängt auch Philippe nach draußen. „Als sie auf dem Rang einige Schritte zurücktraten, um nachzuladen, sprang ich auf und rannte. Ich rannte bis zum Ausgang und hörte erst an der U-Bahnstation Oberkampf auf.“ Als die Polizisten den Saal schließlich stürmen, kriecht David auf sie zu: „Ich sagte mir, ich gehe nach vorn und werde nie hinter mich schauen.“ Hinter sich lässt er 89 Tote zurück.
Auf Facebook beschrieb die 22 Jahre alte Isobel Bowdery ihre Erlebnisse im Bataclan. In bewegenden Worten beschreibt sie, wie sie sich auf den blutigen Boden legte, sich tot stellte und auf die Kugel wartete, die ihr Leben beenden würde. Außerdem zeigt der Eintrag das Bild eines weißen Tops, das Bowdery im Bataclan trug. Es ist mit Blutflecken beschmiert.
you never think it will happen to you. It was just a friday night at a rock show. the atmosphere was so happy and...
Posted by Isobel Bowdery on Samstag, 14. November 2015