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Nach dem Terror in Belgien : Nationalstolz und Vorurteil

  • -Aktualisiert am

Nur keine Kritik: Premierminister Charles Michel weiß sich nach den Terrorattacken zu verteidigen. Bild: AP

Belgiens Premierminister Michel tut sich schwer im Umgang mit Kritik: Statt Versäumnisse im Kampf gegen den Terror zuzugeben, lässt er eher Verbitterung spüren.

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          Seine Kernbotschaft stellt Charles Michel an den Anfang eines Auftritts im Internationalen Pressezentrum. Auf Englisch – nicht in den drei offiziellen Landessprachen Niederländisch, Französisch und Deutsch – sagt der belgische Premierminister am Mittwoch: „Wir kehren in Brüssel und in Belgien zum normalen Leben zurück.“ Wer sich auf Plätzen, U-Bahnhöfen oder vor den Gebäuden der EU-Institutionen umschaut, ahnt jedoch, dass dies noch dauern wird.

          35 Menschen, darunter drei Selbstmordattentäter, sind durch die am 22. März verübten Anschläge auf den Flughafen und eine U-Bahn im Europaviertel getötet worden. Einen völligen Schutz vor Anschlägen, so eine weitere Botschaft Michels, könne es weder in Brüssel noch anderswo geben. Nach der vor allem in ausländischen Medien geäußerten Kritik an Versäumnissen im Kampf gegen den Terrorismus ist bei Michel und dem Ministerpräsidenten der Hauptstadtregion, Rudi Vervoort, einige Verbitterung zu spüren. „Ich hatte nicht das Gefühl, in einer Stadt zu leben, die draußen ein so sehr angekratztes Image hatte“, sagt der Sozialist Vervoort.

          Bei bohrenden Fragen – zum Beispiel nach der Präsenz der Sicherheitskräfte in Bahnhöfen, nach mangelhafter Zusammenarbeit zwischen Behörden und einer angeblich überzogenen Staatsreform mit Kompetenzgerangel – tritt Michel die Flucht nach vorn an. Er spricht von „etwas Verwirrung“, aber auch von dem Bild Belgiens als „gescheitertem Staat“ und Brüssels als Hort für Islamisten. Mit erregt klingender Stimme sagt Michel: „Ich kann die Idee eines dramatisch scheiternden Landes nicht akzeptieren.“ Sei ein Staat gescheitert, der 2015 mehr als 100 Personen wegen terroristischer Vergehen verurteilt oder – auch wenn das schon mehr als ein Jahrzehnt her ist – einen Tunesier, der Pläne zu einem mörderischen Anschlag geschmiedet habe, dingfest gemacht habe? Auch Anfang 2015 sei durch einen Polizeieinsatz im ostbelgischen Verviers, bei dem zwei mutmaßliche Terroristen erschossen wurden, Schlimmeres verhindert worden.

          „Dialog ohne Filter führen“

          Die Kritik daran, dass Salah Abdeslam, der einzige Überlebende der Pariser Anschläge im November, erst vier Monate später im Brüsseler Problemstadtteil Molenbeek gefasst werden konnte, lässt Michel ebenfalls nicht gelten. Schließlich sei gut ein Jahrzehnt vergangen, ehe der als Drahtzieher der mörderischen New Yorker Anschläge am 11. September 2001 geltende Al-Qaida-Chef Usama Bin Ladin aufgespürt worden sei. Dass die gegen Belgien gerichteten Vorwürfe Michel und Vervoort, aber auch die politische Klasse des Landes hart treffen, ist nicht zu übersehen. Es geht offenbar darum, die Reputation Belgiens zu verbessern und, wie Michel es formuliert, „Dialog ohne Filter zu führen“.

          Unklar bliebt dabei, wie es sich die beiden Politiker erklären, dass Vorurteile über Belgien oft so einseitig ausfallen. Der Premierminister führt an, dass Belgien Stärken habe, aber auch Schwächen, die es auszumerzen gelte. Dann verweist er auf einen 30 Punkte umfassenden Katalog an Maßnahmen, die im Interesse der Sicherheit der Bürger schon getroffen oder geplant seien – von mehr Präsenz von Polizei und Militär bis zu einer Lockerung des Regeln zum Abhören von Telefongesprächen.

          Hausdurchsuchungen durfte es bisher nur zwischen fünf Uhr morgens und 21 Uhr abends geben. Entscheidend sei im Kampf gegen die Terrorgefahr die internationale Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendienst. Als ein niederländischer Journalist die vor allem in Flandern erhobene Forderung nach einer Verringerung der einst 19, nun sechs auf künftig nur eine Polizeizone in der Hauptstadt Brüssel erwähnt, wirkt Michel, sonst meist verbindlich im Ton, regelrecht unwirsch. „Es ist schon ein vorschneller Schluss, zu der Meinung zu gelangen, dass sich so Anschläge wie auf den Flughafen Zaventem und die U-Bahn hätten verhindern lassen“, sagt Michel.

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