Junckers EU-Plan : Die Helligkeit am dunkelsten Tag
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Junckers Blick in die Zukunft: Was wird aus der EU? Bild: AFP
Kommissionschef Jean-Claude Juncker stellt seine Ideen zur Zukunft der EU vor. Doch den Parlamentariern reicht das nicht. In Zeiten der Krise fehlt es an einer wegweisenden Richtung.
Es dürfte kaum Absicht gewesen sein. Aber das Titelblatt des „Weißbuchs zur Zukunft Europas“, das Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Mittwoch in Brüssel vorgestellt hat, weckt ausgerechnet Erinnerungen an das Logo der britischen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte 2005. Nur dass die Zugvögel im britischen Logo noch zielstrebig in eine Richtung strebten, während die Vögel auf dem Weißbuch mehr als elf Jahre und ein Brexit-Votum später eher unbestimmt über das Titelblatt flattern. Die „Tsuru“-Origamivögel sollen Kraniche darstellen, die in Japan für langes Leben, Glück und Frieden stehen. Das passt zu dem Pathos, mit dem Juncker das ansonsten eher nüchterne Werk verkaufte. „Selbst unser dunkelster Tag in 2017 wird heller sein als jeder Tag, den unsere Vorväter auf den Schlachtfeldern verbracht haben“, sagte er etwa. Zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge gelte es deshalb, für ein geeintes Europa der 27 eine Vision für die Zukunft zu entwickeln.
Fünf Szenarien stellt Juncker in dem Weißbuch für die Entwicklung Europas bis 2025 zur Auswahl. Sie reichen von einem „Weiter so, wie bisher“ über eine Konzentration auf den Binnenmarkt, über ein Europa mehrerer Geschwindigkeiten („wer mehr will, tut mehr“), eine Beschränkung auf wenige Politikfelder („weniger, aber effizienter“) bis zur tiefgehenden Integration. Nach dem ersten Szenario würde die EU sich auf die Schaffung von Arbeitsplätzen, Wachstum und Investitionen konzentrieren. Die Währungsunion würde weiterentwickelt, die Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik bliebe beschränkt. Fortschritte in der Bewältigung der Flüchtlingskrise seien so kaum zu erreichen, warnt die Kommission. Im zweiten Szenario würde die Vertiefung des Binnenmarkts vorangetrieben, alle anderen Politikfelder, inklusive Verteidigung und Migration, blieben außen vor. Das dritte Szenario, das Europa mehrerer Geschwindigkeiten, für das sich zuletzt Kanzlerin Angela Merkel ausgesprochen hatte, würde wie heute beim Schengen-System oder der Währungsunion die Kooperation einiger EU-Staaten auf verschiedenen Politikfeldern vorantreiben, etwa in der Verteidigungspolitik – mit der Gefahr, dass die EU zerfasert und für die Bürger unübersichtlich wird.
Die größte Herausforderung wäre das vierte Szenario, heißt es in der Kommission. Die EU würde sich auf einige Politikfelder konzentrieren, dafür aber auch Kompetenzen in anderen Feldern an die EU-Staaten zurückgeben. Das könnte die gesamte Agrarförderung sein oder auch Detailthemen wie die Tiergesundheit oder die Lebensmittelsicherheit. Auf den verbleibenden Politikfeldern soll die EU aber dann wie ein Föderalstaat zügig voranschreiten, weshalb intern auch vom Amerika-Szenario die Rede ist. Das fünfte Szenario wiederum liegt ganz auf der Linie des Vorsitzenden der Liberalen im EU-Parlament, Guy Verhofstadt. Die Integration der EU würde auf allen Ebenen vertieft. Die Vertiefung der Währungsunion würde ebenso vorangetrieben wie die Schaffung einer Verteidigungsunion.
Juncker vermied es am Mittwoch, sich selbst auf ein Szenario festzulegen – nicht zuletzt wohl, weil er falsche Erwartungen vermeiden wollte. „Wir sollten Menschen nicht glauben machen, dass wir die Sonne und den Mond herbeizaubern können, wenn wir höchstens ein Teleskop liefern können“, sagte er vor dem Parlament. Dennoch wurde in seiner Rede offenkundig, dass ihm das fünfte Szenario am nächsten ist. Was im Übrigen auch bei der „neutralen“ Bewertung der Folgen der verschiedenen Szenarien für einzelne Politikfelder durchscheint. Auch in der Runde der Kommissare sei eine klare Präferenz für ebendieses Szenario zu erkennen gewesen, hieß es aus der Behörde.