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Unser Land, unser Trump

Von JOCHEN STAHNKE

17.01.2017 · Im Westjordanland gibt es eine kleine Siedlung, für die der künftige amerikanische Präsident Trump und seine Leute Geld spendeten. Wer lebt dort? Und was denken die Siedler über ihre Gönner?

© F.A.Z.-Karte lev. Beit El ist eine von vielen jüdischen Siedlungen im Westjordanland.

Der Weg in das Dorf mit den schönsten Beeten und den akkuratesten Rasenkanten weit und breit führt über eine schmale Straße. Links davon beginnt die Palästinenserstadt Ramallah. Wer nach rechts abbiegt, liest ein Schild. Es verheißt auf Englisch: „Das Volk von Israel ist an seinen rechtmäßigen Platz zurückgekehrt, an den Ort, an dem Gott das Land unseren Vorvätern versprach – Willkommen in Beit El.“ Daneben wirbt ein Imbiss auf Hebräisch für Hühnchen und Getränke.

Hinter der elektrischen Schranke am Dorfeingang von Beit El beginnt die Welt der Siedler. Ein Teenager joggt mit Kippa auf dem Kopf den Hügel hinauf bis zum Kreisverkehr. In der Mitte des Kreisverkehrs wächst eine perfekt getrimmte Hecke, darin eingebettet steht die Steinskulptur eines aufgeschnittenen Granatapfels. Gegenüber erhebt sich das Jeschiwa-Zentrum für religiöse Studien, umgeben von Wohncontainern und gedrungenen Häusern. Ein Gebäudekomplex aus hellem Sandstein, groß wie eine Kathedrale, bezahlt von Donald Trump und seinen Leuten.

Im Alten Testament ist Beit El jener Ort, an dem Jakob von der Himmelsleiter träumte. Heute ist Beit El, das „Haus Gottes“, eine israelische Siedlung, die ziemlich isoliert im Westjordanland liegt. Sie gilt als ideologisch radikal. Gemäß der Pläne, über die man sich international weitgehend einig ist, müsste Beit El geräumt werden, wenn es zu einer Grenzziehung zwischen Israel und einem Palästinenserstaat käme. Zwar soll außerdem über einen Landtausch verhandelt werden. Da soll es aber vor allem um die großen israelischen Siedlungen unmittelbar östlich der Grenze gehen; Beit El gehört nicht dazu. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte bei den letzten derartigen Verhandlungen 2014 dem amerikanischen Außenminister John Kerry jedoch sehr klar gesagt, dass er auch auf Beit El niemals verzichten will.

© Jochen Stahnke An dieser Stelle soll Jakob von der Himmelsleiter geträumt haben.

Der künftige amerikanische Präsident Trump und die Familie von dessen Schwiegersohn Jared Kushner haben Geld gespendet für Beit El. Allein zwischen 2010 und 2014 überwies die Organisation „American Friends of Beit El Yeshiva Center“ amerikanischen Steuerunterlagen gemäß knapp zehn Millionen Dollar an Beit El. Israelischen Berichten zufolge sollen es jedes Jahr rund zwei Millionen sein. Es ist eine von vielen Organisationen, die gebündelt sind im Dachverband „American Friends of Beit El Institutions“. Und der wird von David Friedman geleitet, Trumps künftigem Botschafter in Israel. Der Dachverband bezahlt in der Siedlung nicht nur Gebäude und Ausbildungsprogramme, sondern auch den Internetsender Arutz Sheva. Auf dessen Internetseite schrieb Friedman im Juni, er halte die linksliberalen amerikanischen Juden für „schlimmer als Kapos“ in den Konzentrationslagern der Nazis. Barack Obama nannte er einen Antisemiten. Und er sprach sich grundsätzlich gegen eine Zweistaatenlösung aus. Damit war Friedman auf der Linie des Senders.

© Reuters David Friedman, Trumps künftiger Botschafter in Israel

Chaim Silberstein ist Mitglied der Siedlerverwaltung von Beit El. Sein Büro ist in einem Wohncontainer. „Wir brauchen hier nicht viel“, sagt Silberstein. „Wir sind aus ideologischen Gründen hergekommen, nicht um in Luxus zu leben.“ Das Geld, das reinkommt, fließt in die Bildungseinrichtungen. Silberstein sagt, etwa die Hälfte komme vom israelischen Staat, die andere Hälfte von außerhalb. Über den künftigen amerikanischen Botschafter sagt er: „Ich kenne David, seit wir beide jung waren. Er und sein Vater waren ständig bei uns zu Gast.“ Friedman liebe Israel. „Er ist sehr klug, auch mutig, aber er würde nichts Chaotisches machen, er ist kein Fanatiker.“

Chaim Silberstein trägt eine gehäkelte, auffällig große Kippa, ein Zeichen der nationalreligiösen Siedler. Sein Vater war vor dem Holocaust aus Berlin nach Südafrika geflohen. Silberstein wuchs in Johannesburg zu Zeiten der Apartheid auf. Als Volljähriger zog er dann allein nach Israel, „das den Juden seit viertausend Jahren gehört“. Israelische Menschenrechtsorganisationen sagen, dass die Siedlung Beit El zu mehr als neunzig Prozent auf Land gebaut wurde, das sich im Privatbesitz von Palästinensern befindet. Silberstein sagt, eine Rechtsgrundlage für einen palästinensischen Staat gebe es nicht. „Und eigentlich gibt es doch schon einen palästinensischen Staat: Jordanien.“ Den in seinem Land lebenden Arabern gesteht Silberstein eine Selbstverwaltung zu, „aber keine nationalen Rechte“. Ähnlich sieht das auch der neue amerikanische Botschafter. Was Trumps Haltung angeht, ist sich Silberstein nicht so sicher. „Ich bin vorsichtig optimistisch“, sagt er. „Und schlimmer kann es nach Obama und Kerry auch nicht kommen.“ Aber niemand wisse, wofür Trump genau stehe. „Trump ist ein verrückter Mann.“

© Jochen Stahnke Ein Teil des Jeschiwa-Zentrums

An einem zweigeschossigen Gebäude der Mädchenschule des Jeschiwa-Zentrums steht der Name von Friedmans Vater: „The Rabbi Morris Friedman Center“. Das Schulgebäude direkt daneben trägt den Namen des New Yorker Uhrenmagnaten Eugen Gluck. Einer Studie der Universität Oxford zufolge leben im Westjordanland sechzigtausend Amerikaner in Siedlungen, die von der internationalen Staatengemeinschaft als illegal betrachtet werden. Damit wäre fast ein Sechstel aller Siedler Amerikaner. Eine hohe Zahl angesichts der rund 170.000 Amerikaner, die insgesamt in Israel leben. Die Amerikaner in den Siedlungen sind meist nicht nur orthodox, sondern gehören zum ultrarechten Flügel in Israel.

© Jochen Stahnke Von der Siedlung aus schweift der Blick über palästinensische Häuser.

„Ich weiß gar nicht, was an dem Begriff Siedler so negativ sein soll“, sagt Judy Simon, die aus Chicago stammt und vor zwanzig Jahren nach Beit El kam. „In den Vereinigten Staaten sind Siedler Pioniere gewesen, die wir heute feiern.“ Was solle daran in Israel auf einmal anders sein? „Die Indianer in Amerika fordern ja auch keinen eigenen Staat.“ Judy Simon ist Grundschullehrerin. Zunächst haben sie und ihr Mann in Haifa gewohnt, doch als die Kinder kamen, habe sie sich auf die Suche nach einer kleinen Gemeinschaft und „Ruhe“ gemacht. Mittlerweile hat sie sechs Kinder. Simon sagt, sie habe immer gewollt, dass ihre Kinder in einer gemischten Gemeinschaft aufwachsen, „wo es nicht nur Junge, nur Mittelalte, nur alte Menschen gibt“. Judy Simon sagt, in Beit El passe man aufeinander auf, ein jeder sei hier eng mit der Erde verbunden. Jerusalem liegt nur zwanzig Kilometer entfernt, und die Hälfte der Einwohner von Beit El pendelt täglich zur Arbeit. Die andere Hälfte der Einwohner ist in Beit El selbst beschäftigt, hauptsächlich im Bildungswesen. „Unser Hauptprodukt ist Bildung, und danach kommen die Kinder.“ Heute gibt es in Beit El drei Grundschulen, vier weiterführende Schulen und 21 Kindergärten. Hinzu kommt ein Zentrum für junge Israelis zur freiwilligen geistlichen und ideologischen „Vorbereitung“ auf den Militärdienst.

© AP Die Siedlung Beit El

In wenigen Monaten feiern sie den vierzigsten Jahrestag der Siedlungsgründung. Angefangen hatte es mit Rabbi Zalman Melamed. Er ließ sich 1977 gemeinsam mit siebzehn Familien auf einem Teil des Geländes nieder, das die Armee wenige Jahre zuvor von den Palästinensern konfisziert hatte. Bis heute liegt in Beit El das Regionalkommando der israelischen Armee für die Palästinensergebiete. Und bis heute steht Rabbi Melamed dem Jeschiwa-Zentrum vor. Der Rabbi gründete eine rechtsradikale Partei und hat Soldaten dazu aufgerufen, die Befehle zu verweigern, wenn diese die Räumung von Siedlungen betreffen. Zudem verlangt Melamed, „subversiven“ arabischstämmigen Israelis die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Seine Frau ist Direktorin des Senders Arutz Sheva. „Angefangen zu senden haben wir 1988 von einem Schiff aus, das vor der Küste Israels vor Anker lag“, erzählt ein alter Radioreporter von Arutz Sheva. Es war das Jahr, in dem Friedman und seine Leute auch ihre Stiftung gründeten. „In den ersten Jahren gab uns die Regierung keine Sendelizenz.“ Das Internet verhalf dem Sender zum Durchbruch, eine Lizenz war nicht mehr nötig. Die Internetseite, für die Friedman regelmäßig schreibt, erreicht ein riesiges Publikum in Amerika.

© Picture-Alliance, Reuters Eine Betonmauer schirmt die Siedlung ab. Im Juli 2015 werden zwei leerstehende Häuser aufgrund einer Anordung zerstört.

Mittlerweile leben siebentausend Menschen in Beit El. Siebenhundert bis tausend von ihnen sind Amerikaner, schätzt Judy Simon. Der Wohnraum wird langsam knapp. Immer mehr Einwohner verlassen Beit El, um sich anderswo im Land niederzulassen, auch in eher säkularen Städten wie Tel Aviv. „Dort tun sich Familien zusammen, suchen eine Nachbarschaft aus und leben der Umgebung unsere Ideale und das Leben in guter und frommer Gemeinschaft vor“, sagt Simon. In Beit El gebe es einen Baustopp. „Wir sind hier nicht frei.“ Meistens verbiete die Militärverwaltung den Bau neuer Wohneinheiten.

Silberstein sagt, als Mitglied der Ortsverwaltung würde er nie eine Baugenehmigung unterschreiben, die nicht legal ist. Die Siedler haben ihren Kampf ohnehin gewonnen: Die strategisch bedeutenden Hügel im Westjordanland sind in israelischer Siedlerhand, von der Armee bewacht und von Tausenden bewohnt. Beit El bildet die nordöstliche Grenze von Ramallah und verhindert damit auch dessen Ausbreitung. Die Siedlung ist einen Steinwurf von der faktischen palästinensischen Verwaltungshauptstadt entfernt, was hier wörtlich zu nehmen ist. „Jeden Freitag schleudern Araber von der Straße aus Steine herüber, und die Soldaten schießen dann mit Tränengasgranaten zurück“, sagt Silberstein. „Ein Ritual, mehr nicht.“

© Reuters Nahe Beit El kommt es im Oktober 2015 zu Zusammenstößen zwischen protestierenden Palästinensern und Sicherheitskräften.

Vor drei Wochen hat Israels Staatspräsident Reuven Rivlin das Jeschiwa-Zentrum von Beit El besucht, um einen Studiensaal einzuweihen und um die dritte Kerze zu Chanukka anzuzünden. Neben ihm stand Rabbi Melamed. Rivlin nannte die Siedler von Beit El „Pioniere“ und bezeichnete das Westjordanland, dessen Gebiet die Palästinenser zu ihrem Staat machen wollen, als „unser Land“.

Dies scheint auch Trump so zu sehen. Der überregionale Siedlerrat teilte mit, eine Einladung zu dessen Amtseinführung erhalten zu haben. Trotzdem ist Judy Simon noch nicht ganz überzeugt vom künftigen Präsidenten. „Trump ist eine Wildcard – ich wusste vor der Wahl nicht, was er wirklich tun will.“ Ob sie Trump gewählt habe? Simon sagt, dass sie Hillary Clinton hasse. Die sei eine Lügnerin. Trump erschien ihr trotz aller Ungewissheiten als die bessere Wahl. Aber dann kam ihr Stimmzettel nicht rechtzeitig an; sie wählte nicht mit. Jetzt, nach der Wahl, sei sie aber schon etwas beruhigter als vorher, was Trump betrifft. Auch, weil Friedman Botschafter werde.

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Quelle: F.A.Z.

Veröffentlicht: 17.01.2017 11:04 Uhr