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Interview : Wahlforscher: Parteien funktionieren wie Marken

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Angefressenes Markenprodukt

Angefressenes Markenprodukt Bild: dpa

Marc Arnold von der Gesellschaft für Innovative Marktforschung meint mit einer neuen Methode präzisere Aussagen über die Bindungen zwischen Partei und Wähler treffen zu können.

          3 Min.

          Der Soziologe Marc Arnold von der Gesellschaft für Innovative Marktforschung hat eine Studie zum Thema „Parteien als Marke“ erstellt. Mit neuen Methoden meint er präzisere Aussagen über die Bindungen zwischen Partei und Wähler treffen zu können. Seine These: Wenn die „Marke“ ihre typischen Merkmale verändert, „kaufen“ die Wähler etwas anderes.

          Herr Arnold, was ist neu an Ihrem Konzept „Parteien als Marke“?

          Wir wollten untersuchen, wo die tieferen Ursachen für die zunehmende Politikverdrossenheit liegen. Das können Sie mit den Methoden der Sonntagsfrage nicht rauskriegen.

          Wie gehen Sie dabei vor?

          Wir haben mit einer Markenkernanalyse angefangen. Das heißt: Damit eine Marke am Markt erfolgreich ist, muss sie bestimmte Kriterien erfüllen. Dazu gehören Glaubwürdigkeit, Identität, Orientierung. Das haben wir auf Parteien übertragen. Außerdem muss eine Marke bestimmte Wertorientierungen kommunizieren, um erfolgreich zu sein. Diese Wertorientierungen müssen mit den Erwartungen des Konsumenten übereinstimmen. Mercedes kommuniziert zum Beispiel einen eher konservativen Stil und eine bestimmte Art von Luxus. Diese Werte müssen sie beim Konsumenten wiederfinden.

          Aber Parteien handeln doch schon vielfach so, dass sie sich in bestimmten Aussagen ihrer Klientel anpassen.

          Bisher gab es aber noch keine Methode, das zu überprüfen. Bisher bekommen Wähler eine Skala vorgelegt, auf der sie ankreuzen können, welcher Partei sie etwa die höhere Wirtschaftskompetenz zutrauen. Viele antworten dann: die CDU. Das ist aber ein reiner Methodeneffekt. Wir fragen vor allem nach dem Warum. Also brechen wir das Ganze runter auf die individuelle Ebene und sehen, dem Bürger geht es letztlich um Sicherheit für seine Zukunft, für seine Kinder. Er möchte wieder familiäre Werte gestärkt sehen.

          Sie haben Anhänger der Grünen befragt. Was ist dabei herausgekommen?

          In Berlin konnten wir zum Beispiel feststellen, dass gerade in der Gruppe der 30- bis 35-Jährigen eine zunehmende Orientierung hin zur PDS stattfindet. Besonders deprimierend wirkt sich aus, dass gerade Rot-Grün in militärische Auseinandersetzungen verwickelt war. Da hat die Anhängerschaft eigentlich auch ihre eigenen Wertorientierungen und Ideale in Frage gestellt gesehen. Die Folge ist, dass die PDS den Grünen hier eine gewisse Klientel wegnimmt, weil sie gerade in der letzten Zeit auf diese ursprüngliche Friedenspolitik gesetzt hat.

          Die PDS raubt den Pazifisten von einst ihre Klientel?

          Ein Grünen-Ersatz ist die PDS bisher nicht. Aber es gibt mit Sicherheit im Westen Tendenzen PDS zu wählen. Beispiel Ruhrgebiet. In Duisburg war die PDS bei der Kommunalwahl sehr erfolgreich. Da kann man anhand der Wählerwanderung beobachten, dass das nicht nur enttäuschte Sozialdemokraten waren, sondern verstärkt auch ehemalige Grüne, gerade unter den jüngeren Wählern.

          Aber nach Gregor Gysis Abgang in Berlin fehlt der Partei die Integrationsfigur.

          In der öffentlichen Wahrnehmung ist die PDS dennoch die einzig verbliebene Oppositionspartei Deutschlands. So hat man früher auch mal die Grünen gesehen. Trotzdem sinkt die PDS in der Wählergunst insgesamt. Eine Ursache ist, dass die Partei ein Führungsproblem hat. Umfragen zeigen, dass siebzig Prozent der Deutschen nicht wissen, wer die Parteivorsitzende ist. Und es ist fraglich, ob die PDS eine neue Integrationsfigur finden wird. Und dann werden bei dieser Bundestagswahl einige PDS-Wähler SPD wählen, weil sie sagen, nur so kann man Stoiber noch verhindern.

          Hat Gerhard Schröder die „Marke“ SPD nicht ziemlich verwässert?

          Natürlich hatten sich die Wähler viel mehr von Schröder versprochen. Man war der Meinung, dass man eine Reformpartei wählt, die wirklich was anpackt. Hier hat sich nach und nach Ernüchterung eingestellt. Das heißt, die SPD wird ein großes Problem bekommen, ihre Wähler zu mobilisieren. Auch Fragen der sozialen Gerechtigkeit wurden vernachlässigt. Ein einfacher SPD-Wähler versteht es zum Beispiel nicht, dass in Deutschland Großkonzerne keine Steuern mehr zahlen. Wichtig bei der SPD-Klientel ist auch das kollektive Gefühl. Wenn Schröder dann aber von der „Ich-AG“ spricht, zielt er damit stärker auf Individualismus. Das geht meiner Meinung nach total daneben.

          Haben denn die ehemaligen Regierungsparteien ihr Profil in der Opposition wieder schärfen können?

          Die Opposition profitiert im Moment von der Schwäche der Regierung und nicht von der eigenen Stärke. Gerade in den letzten Monaten ist Stoiber untergetaucht und hat sich kaum mehr geäußert. In der Wählerwahrnehmung vertritt die CDU sonst alte Werte wie Familie, Ehe, einen gewissen Wertkonservativismus eben. Das wird jetzt auch wieder etwas stärker kommuniziert.

          Und die FDP?

          Die Liberalen haben es auf jeden Fall geschafft, sich als eigenständige Partei zu präsentieren. Dank Guido Westerwelle kann sich die Partei gerade bei Jungwählern als eigenständige Kraft positionieren. Das hat die FDP geschickt gemacht, indem sie sich die Koalitionsfrage offen gelassen hat. Auch das Image als Partei der „Besserverdienenden“ ist die FDP weit gehend losgeworden, indem sie sich klar davon distanziert hat. Man will jetzt eine kleine Volkspartei sein.

          Haben Protestparteien wie „Schill“ überhaupt noch eine Chance wiedergewählt zu werden?

          Nein. Das Schillphänomen wird bei der nächsten Hamburger Bürgerschaftswahl der Geschichte angehören. Aber es werden sich neue Formen von Bürgerbewegungen bilden, allerdings nicht so extrem. Es wird themen- und interessenspezifische Zusammenschlüsse geben, um etwas zu bewegen, aber eher auf lokaler Ebene.

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