Zum Tod von Manfred Stolpe : Bereiter des Brandenburger Wegs
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Manfred Stolpe im Jahr 1998 Bild: Barbara Klemm
Er suchte den Konsens jenseits von parteipolitischen Positionen und bezog dabei auch frühere Funktionsträger ein. Trotzdem konnte Manfred Stolpe nie zur Identifikationsfigur aller Ostdeutschen werden.
Manfred Stolpe ist nicht nur der erste Regierungschef, sondern eher eine Art Präsident des wiedererstandenen Landes Brandenburg gewesen – und der Präsident vieler Ostdeutscher über dessen Grenzen hinaus. Dass er nicht zur Identifikationsfigur aller Ostdeutschen werden konnte, hatte seinen Grund darin, dass Stolpe schon in der vorhergegangenen staatssozialistischen Herrschaft eine prominente Funktion innehatte. Zwar war er nicht auf der Seite des SED-Staates, sondern in der Verwaltung der evangelischen Kirche tätig, aber er wurde dort in wechselnden Schlüsselaufgaben zum herausragenden Ansprechpartner sowie zum Verhandler des Verhältnisses zwischen dem diktatorischen Herrschaftsanspruch des Staates und einer sich mehr und mehr zur Oppositionsheimat entwickelnden Kirche.
Welche Kompromisse, Zugeständnisse und Windungen diese Rolle erforderte, konnte nur Stolpe selbst wissen – Akten, die im Nachhinein darüber Auskunft gäben, haben sich in größerem Umfang nicht gefunden. Spekulationen darüber, wie eng Stolpe – der von 1982 an als Konsistorialpräsident der evangelischen Kirche im Osten, Berlins und Brandenburgs – fungierte, mit der DDR-Staatssicherheit in Verbindung stand, stützten sich immer wieder auf den Umstand, dass er 1978 die DDR-Verdienstmedaille an einem konspirativen Treffpunkt der Stasi in Empfang nahm.
Stolpe stammte aus dem pommerschen Stettin, erhielt das Abitur in Greifswald, absolvierte ein Jurastudium in Jena – und behielt bis zum Mauerbau im Jahr 1961 den Status eines Gasthörers an der Freien Universität im Westteil Berlins. Nach dem Umbruch in der DDR beschritt Stolpe im Wendejahr 1990 den Weg aus der Kirche in die Politik; er wurde Mitglied der SPD und im darauffolgenden November Ministerpräsident des wiedererstandenen Landes Brandenburg. Sein Regierungsstil, den er selbst mit der Bezeichnung „Brandenburger Weg“ versah, hatte eine Konsens-Suche möglichst jenseits von parteipolitischen Positionsbeschränkungen zum Ziel – und das unter möglichst weiter Einbeziehung auch der früheren Funktionseliten des Landes.
Große Wahlerfolge und verkleidete Niederlagen
Dieses Politikverständnis bescherte Stolpe und seiner Partei große Wahlerfolge, von denen die SPD in Brandenburg bis heute zehrt. Das eigene Brandenburger Regionalbewusstsein, welches der Ministerpräsident nach Kräften förderte, brachte ihm persönlich aber auch seine bitterste Niederlage bei. 1996 scheiterte die Fusion der Länder Berlin und Brandenburg, die auf beiden Seiten von Politik, Wirtschaft und gesellschaftlichen Gruppen mit Eifer betrieben wurde, in einer Volksabstimmung am knappen Nein der Brandenburger.
Eine andere Niederlage, die Stolpe nach Kräften in einen Sieg zu verkleiden suchte, erlitt er am Ende seiner Regierungszeit bei einem Abstimmungsvorgang im Bundesrat. Dort stand das Zuwanderungsgesetz der rot-grünen Bundesregierung auf der Kippe. Stolpes Koalitionspartner, die CDU, lehnte das Gesetz ab, Brandenburg hätte sich nach den üblichen Koalitionsregeln der Stimme enthalten müssen. Stolpe hingegen rief in der Sitzung, Brandenburg stimme mit „Ja“, sein neben ihm sitzender Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) rief „Nein“, Stolpe erneuerte das „Ja“. Erst geraume Zeit später befand das Bundesverfassungsgericht, es sei unzulässig gewesen, diese Konfusion als Zustimmung zu dem Gesetzentwurf zu werten; das Vorhaben wurde für nichtig erklärt.
Vom Sessel des Ministerpräsidenten wechselte Stolpe 2002 in der zweiten Regierung Gerhard Schröders in das Ressort des Bundesverkehrsministers. Die mit Querelen behaftete Einführung der Lkw-Maut und die mit viel Geld unterlegten Absichten des Bundesverkehrswegeplans für das folgende Jahrzehnt waren Vorhaben, die dort weit über Stolpes bis 2005 währende Amtszeit hinauswiesen.
Stolpe, der im Jahr 2006 mit dem wieder eingeführten Roter-Adler-Orden des Landes Brandenburg versehen wurde, förderte auch im Ruhestand nach Kräften die Bewahrung des historischen und kulturellen Erbes. Er engagierte sich für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses und der Potsdamer Garnisonkirche, wirkte im Landesdenkmalrat wie in der Diakonie. In einem persönlichen Glaubensbekenntnis beteuerte er vor einem Jahr, er achte die Vorgaben Christi, der gewusst habe, „dass man vom Weg abkommen kann, aber in seinem Bemühen um das Gute nicht nachlassen darf“. Am Sonntag ist Manfred Stolpe nach einem langen Krebsleiden im Alter von 83 Jahren in Potsdam gestorben.