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Umstrittene Kunstaktion : „Wo soll der Inhalt denn hin?“

  • -Aktualisiert am

Mittlerweile verdeckt: Die Säule mit den menschlichen Überresten der Holocaust-Opfer in Berlin Bild: AP

Nach heftiger Kritik hat das „Zentrum für politische Schönheit“ eine Säule mit mutmaßlich menschlichen Überresten von NS-Opfern verdeckt. Abgebaut wurde sie aber noch nicht – das ZPS weiß nicht, wohin mit dem „Inhalt“.

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          „Wohin? Wo soll der Inhalt denn hin?“ Das fragt das „Zentrum für politische Schönheit“ (ZPS) ganz am Ende der Stellungnahme, die am Mittwoch veröffentlicht wurde. Eine Stellungnahme, in der sich die Künstlergruppe für die umstrittene Aktion entschuldigt, angeblich menschliche Überreste ermordeter Juden zur Schau gestellt zu haben. „Wir möchten insbesondere auch die jüdischen Institutionen, Verbände oder Einzelpersonen um Entschuldigung bitten, die durch unsere Arbeit die Totenruhe nach jüdischem Religionsrecht gestört oder angetastet sehen“, heißt es in der Mitteilung.

          Anfang der Woche hatte die Künstlergruppe zwischen Bundestag und Kanzleramt eine Stehsäule zum Gedenken an NS-Opfer installiert. In der Säule befanden sich nach Angaben der Gruppe Asche und Knochenreste von Holocaust-Opfern. Unter anderem die Bundesregierung und der Zentralrat der Juden hatten die Aktion kritisiert.

          Nachdem die Kritik jüdischer Nachfahren ebenfalls immer heftiger wurde, verdeckte die Künstlergruppe den Teil der Säule mit den angeblichen Asche- und Knochenresten – sowohl bei der Säule in Berlin als auch in Arnstadt in Thüringen, wo eine zweite Säule in einem Schaufenster aufgetaucht war. Vollständig abgebaut wurden beide Säulen jedoch nicht.

          Der von der ZPS angegebene Grund: Die Künstlergruppe wisse nicht, wohin mit den menschlichen Überresten. „Zurück in den Wald, in das Versteck, das deutsche Nazischergen vor 75 Jahren ausgewählt haben? Auf einen jüdischen Friedhof, vielleicht in Berlin?“

          Gespräche mit Rabbinerkonferenz dauern an

          Diese Frage wurde den Aktivisten am Mittwoch von der „Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland“ (ORD) beantwortet. In einem öffentlichen Schreiben forderte Vorstandsmitglied Avichai Apel die Künstler dazu auf, die Ruhe der Toten in Begleitung eines Rabbiners wiederherzustellen – sie also nach jüdischem Religionsgesetz, der Halachah, zu beerdigen. Auf F.A.Z.-Anfrage bestätigte Apel am Donnerstag, dass die Gespräche zwischen der ORD und dem ZPS momentan noch andauerten.

          Nach jüdischen Gesetzen muss der Körper eines Verstorbenen so schnell wie möglich beerdigt werden. Dementsprechend wollen die Rabbiner die Asche noch vor Freitagnachmittag, vor Beginn des Schabbats, beerdigen und „ihnen die verdiente Ewige Ruhe“ zurückbringen.

          Feuerbestattungen sind nach jüdischem Religionsgesetz untersagt. Menschen, die ihre Körper nach dem Tod verbrennen lassen, können grundsätzlich nicht auf jüdischen Friedhöfen beerdigt werden. „Der Mensch wurde aus der Erde geschaffen und soll dahin auch wieder zurückkehren“, erklärt Mendel Gurewitz, Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Offenbach und Ordentliches Mitglied der ORD. „Damit wird dem Menschen und der Schöpfung Respekt gezollt.“ Der menschliche Körper sei „kein Kunstgegenstand für Museen oder sonstiges“, so Gurewitz.

          Im Falle der in den Gaskammern ermordeten und anschließend verbrannten Holocaust-Opfern liege allerdings ein anderer Fall vor. „Diese Menschen sind erzwungenermaßen verbrannt worden. Es war nicht ihre Entscheidung. Deswegen wird ihre Asche als ‚ihr Körper‘ betrachtet“, sagt Gurewitz. Das bestätigt auch Vorstandmitglied Apel: „Die Asche wird so beerdigt, wie jeder Mensch beerdigt wird.“

          Auch Apel hatte die Aktion zuvor als pietätlos verurteilt und bezeichnete sie in der „Jüdischen Allgemeinen“ als besondere Form der Leichenfledderei. „Mit dem Missbrauch dieser Asche wurde einerseits die Totenruhe verletzt, und andererseits wird hier der Tod von Millionen von Menschen für ein obszönes Kunstspektakel ausgenutzt.“ Auch der Zentralrat der Juden stellte sich gegen das Projekt des ZPS. Die Aussage, man habe eng mit dem Zentralrat zusammengearbeitet, sei falsch. Aus diesem Grund sei ein geplantes Telefonat seitens des Zentralrates abgesagt worden, so dessen Präsident Josef Schuster.

          Eher positiv bewertet der Historiker Götz Aly die Aktion des „Zentrums für politische Schönheit“ gegenüber dem MDR. Er halte es für „dankenswert“, dass die Überreste ermordeter Juden sichtbar gemacht worden seien. „Die deutschen Kriegsgräber für unsere Soldaten sind überall gepflegt, von Sankt Petersburg bis Kreta. Wo sich die sterblichen Überreste der Ermordeten aus den Lagern befinden, weiß man nicht. Da wird auch der Boden nicht gekennzeichnet. Das ist schon eine Art von Verdrängung, von ‚nicht wissen wollen‘“, sagt Aly.

          Das „Zentrum für politische Schönheit“ fällt nicht zum ersten Mal mit umstrittenen Aktionen auf. Im Herbst 2017 war die Gruppe mit dem Nachbau des Holocaust-Mahnmals auf einem Nachbargrundstück von Thüringens-AfD-Chef Björn Höcke in die Kritik geraten. Nur ein Jahr zuvor hatte das ZPS einen Käfig mit Tigern aufgestellt, denen sich freiwillig Flüchtlinge zum Fraß vorwerfen sollten, um damit gegen das Beförderungsverbot für Reisende ohne gültige Aufenthaltstitel zu protestieren.

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