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Zehn Jahre AfD : Gründungsfeier unter Feinden

Alice Weidel und Tino Chrupalla auf der 10-Jahres-Feier der AfD im Haus der Begegnung in Königstein Bild: Lucas Bäuml

Die AfD feiert im Taunus ihr zehnjähriges Bestehen – und deutet ihre Geschichte um: Radikalisiert habe sich nicht die Partei, sondern die Welt um sie herum.

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          Königstein im Taunus am Montagabend: Vor dem „Haus der Begegnung“ pfeifen und trommeln etwa 700 Menschen und rufen „Nazis raus“, drinnen trinken etwa 300 AfD-Mitglieder Sekt, schimpfen über die Demonstranten und halten nach Parteiprominenz Ausschau. Dann tritt einer der hessischen AfD-Sprecher auf die Bühne in Königstein und sagt: „An einem Mittwoch vor 3652 Tagen ereignete sich etwa acht Kilometer östlich von hier etwas Historisches. 18 Menschen kamen im Gemeindesaal der Christuskirche in Oberursel zusammen und gründeten eine neue Partei und sie nannten sie Alternative für Deutschland. Und es wurde eine Erfolgsgeschichte. Einer der Gründungsmitglieder ist heute Abend hier.“

          Leonie Feuerbach
          Redakteurin in der Politik.

          Tatsächlich ist es nur dieser eine. 13 Gründungsmitglieder sind ausgetreten, zwei sind verstorben, zwei noch Parteimitglieder, aber nicht zur Jubiläumsfeier gekommen. Der Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke und der Publizist Konrad Adam: längst nicht mehr dabei. Ebenso Norbert Stenzel, der sich vor zehn Jahren zum Schatzmeister wählen ließ, und Gründungsmitglied Markus Keller. Der Industrielle Hans-Olaf Henkel, der im Jahr nach der Gründung dazukam, ist ebenfalls ausgetreten.

          Lucke nannte wachsende Ausländer- und Islamfeindlichkeit als Grund. Keller, dessen Großvater in Auschwitz ermordet wurde, trat aus, als ihn eine Höcke-Rede an Goebbels erinnerte. Stenzel sagt heute, die AfD gefährde die Demokratie. Schon Ende 2015 erklärte Henkel, man habe mit der AfD „ein richtiges Monster erschaffen“.

          Gauland: „Behauptung der Radikalisierung“ falsch

          Die Menschen, die sich an diesem Abend in Königstein versammelt haben, halten all das für erfunden. Die Gründungsväter seien wegen persönlicher Verletzungen und Eitelkeiten ausgetreten und hätten einen vermeintlichen Rechtsruck nur vorgeschoben. „Wenn es all diese Rechtsrucke gegeben hätte, die uns seit Gründung der Partei unterstellt wurden, müssten wir eigentlich schon wieder links rausgekommen sein“, sagt der hessische AfD-Sprecher Robert Lambrou und erntet höhnisch-zustimmendes Gelächter.

          In dieselbe Kerbe schlägt später der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland. Die „Behauptung einer immerwährenden Radikalisierung“, der leider auch einige Mitkämpfer der ersten Stunde das Wort geredet hätten, sei falsch. „Sie ist eine Erfindung unserer Gegner.“ Nicht die AfD sei radikaler geworden, sondern die Welt um sie herum. Über die Flüchtlingkrise im Gegensatz zum ursprünglichen Thema der AfD, Eurokrise und Griechenlandrettung, sagt Gauland: „Nicht wir sind radikaler geworden, das Thema war radikaler, es berührte die Menschen an ihren Wurzeln. Dieser Herausforderung, man muss es leider so sagen, waren einige der Eurogegner in unserer Partei nicht gewachsen. Sie verließen uns unter dem Vorwand einer angeblichen Radikalisierung.“

          Die AfD versucht an diesem Abend einen Spagat: Sie will an ihre Gründung erinnern und dabei die meisten Gründungsväter ausblenden. In einem Video blitzt ein Bild von Lucke auf, danach kommen nur noch die jetzigen Vorsitzenden zu Wort. Manche Redner lästern auf der Bühne über die Parteigründer und früheren Vorsitzenden („Petry und Pretzell hatten immer was von Bonnie und Clyde“), teils auch ohne ihre Namen zu nennen („Sie wissen, wen ich meine“). Es ist insofern ein spezielles Jubiläum. Aber zumindest eins, das gut ins Narrativ passt, von Feinden umgeben zu sein.

          Nicht nur den Rechtsruck stellen die Redner an diesem Abend als Erfindung von Neidern und Medien dar. Sondern auch die Krisen in der Partei. Tatsächlich stehe man mit 15 Prozent in bundesweiten Umfragen sehr gut da. Und 2024 werde die AfD bei den Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern hervorragend abschneiden. Er müsse immer schmunzeln, wenn die CDU von Brandmauern spreche, sagt der Parteivorsitzende Tino Chrupalla. „Die letzte hier im Land gebaute Mauer, auch die haben wir Ostdeutsche eingerissen.“ In nicht allzu ferner Zukunft werde die AfD regieren, erst im Osten, dann im Westen, dann im Bund.

          Nach Weidel, Chrupalla und Gauland spricht noch das einzige der 18 Gründungsmitglieder, das an diesem Abend da ist: der Bundestagsabgeordnete Martin Renner. Seine Rede gipfelt in dem Satz: „Es kann und darf uns niemals um einen Platz am Katzentisch des globalistischen, ökosozialistischen und kulturmarxistischen Leviathans gehen, sondern um dessen Höllensturz.“ Die stellvertretende Bundesvorsitzende Mariana Harder-Kühnel warnt zum Schluss vor den „Blitzeinbürgerungsplänen“ der Ampel: „Wenn diese Pläne verwirklicht werden, dann wird Deutschland für immer verändert. Dann gibt es kein Zurück mehr. Dann brauchen wir uns über Wirtschafts-, Klima- und Energiepolitik keine Gedanken mehr zu machen.“ Zum Abschied regnet es Konfetti von der Decke, auf der Bühne brennt ein kleines Standfeuerwerk und die Nationalhymne wird gesungen. Draußen in der Dunkelheit stehen nur noch ein paar Polizeiwagen, die Demonstranten sind längst weg.

          Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, der hessische AfD-Sprecher Andreas Lichert  habe Rechtsrucke der Partei verneint. Tatsächlich war es sein Kollege Robert Lambrou.

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