Kommentar : Wohin mit den Kosovo-Flüchtlingen?
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Großer Bahnhof: Kosovo-Albaner verabschieden sich von ihren Angehörigen in Prishtina. Bild: AFP
Die Zahl der Asylbewerber aus dem Kosovo ist im Januar um 80 Prozent gestiegen. Angesichts dieses Trends geraten Bund und Länder in Panik. Was ist zu tun?
Machen wir uns bloß kein falsches Bild von diesen Flüchtlingen. Stellen wir sie uns nicht vor als ahnungslose Wesen aus einer dritten oder vierten Welt, die das Schicksal durch die Gegend schubst. Irgendwann spült es sie dann an die Gestade Italiens oder hinter die deutsche Grenze. So zu denken wäre arrogant. Menschen, die ihrer Heimat den Rücken kehren und damit rechnen, sie nie oder sehr lange nicht wiederzusehen, die ihr Hab und Gut zurücklassen, die viel Geld ausgeben und oft genug ihr Leben riskieren, um mit Schleusern aus dem Nahen Osten, aus Afrika oder vom Balkan nach Deutschland zu kommen, sind oft gerade nicht die Leistungsschwachen in ihrer Gesellschaft, sondern die Starken.

Leiter der Parlamentsredaktion in Berlin.
Es sind diejenigen, die Willen und Energie haben, die mit ihrem Smartphone das Internet nutzen können und genau wissen, an wen sie sich in der Türkei wenden müssen, um auf ein Schleuserschiff zu kommen. Sie wissen, wie viel Geld sie brauchen und was sie in Italien tun müssen, um von dem nächsten Schleuser vorbei an den Behörden nach Deutschland weiter gelotst zu werden. Und sie wissen, dass sie in Deutschland gute Chancen haben, eine neue Existenz aufzubauen, sei es, weil sie Asyl erhalten oder weil sie zumindest nicht abgeschoben werden.
Deutschlands Lage ist jeder Zeitung zu entnehmen
Es ist gut, dass es all diese Informationen gibt für Menschen, die politisch verfolgt werden und deren Leben in ihrer Heimat in Gefahr ist, weil dort ein mörderisches System herrscht. Wahrscheinlich sind sie froh, dass es kriminelle, skrupellose Schleuser gibt, die sie für schamlose Preise nach Deutschland bringen. Und wir müssen froh sein, wenn wir diesen Menschen helfen können mit all unserem Wohlstand und unserer demokratischen Stabilität.
Aber dieses Wissen über das gelobte Land inmitten eines ökonomisch wankenden Europas haben nicht nur diejenigen, für die unser Asylsystem gemacht ist. Auch viele andere, zum Beispiel die Menschen aus dem Kosovo, wissen Bescheid. Sie sind nicht angewiesen auf die Sirenengesänge von Schleusern. Sie müssen nur die Zeitung lesen, Fernsehen schauen oder durchs Internet surfen, um zu erfahren, was weiter nördlich los ist. Schließlich wird ja überall verbreitet, dass Deutschland vor wirtschaftlicher Kraft strotzt, händeringend Arbeitskräfte sucht, aber selbst nicht genügend davon in die Welt setzt.
Nur ein kleiner Teil wird abgeschoben
Die Wirtschaft ruft daher lautstark nach helfenden Händen aus dem Ausland. Und es ist auch kein Geheimnis, dass die Asylbewerber vom Balkan fast durchweg abgelehnt werden, dass aber nur ein kleiner Teil, der Pech hat, tatsächlich abgeschoben wird. Die Chance, dass derjenige, der es erst einmal bis nach Deutschland geschafft hat, bleiben kann, ist weitaus größer. Selbst wenn die Bundeskanzlerin höchstpersönlich fünf Interviews pro Tag im kosovarischen Fernsehen gäbe mit der Botschaft, dass die Anerkennungsquote für Asylbewerber höchstens bei einem Prozent liegt, würde das nichts am Verhalten der Menschen ändern. Das Kosovo ist zwar eine Demokratie ohne systematische politische Verfolgung, aber wirtschaftlich geht in dem Land nicht viel voran. Warum also nicht im reichen Norden Europas sein Glück suchen?
Angesichts von Steigerungsraten der Asylbewerber aus dem Kosovo, die bei mehr als 80 Prozent gegenüber dem Vormonat liegen, gerät die Bundesregierung, geraten aber auch die Landesregierungen in Panik. In Berlin hört man das Argument, nun kämen nicht mehr nur die Minderheiten, sondern nun verlasse der kosovarische Mittelstand das Land. Das Kosovo droht auszubluten. Doch die eigentliche Sorge hat einen anderen Grund. Trotz der unbestritten großen Aufnahmefähigkeit Deutschlands scheint das Asylsystem an seine Grenzen zu geraten.
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Die Hilferufe Richtung Berlin angesichts der wachsenden Zahl von Flüchtlingen aus dem Kosovo kommen inzwischen aus allen Ländern, ganz gleich, ob der Regierungschef ein Parteibuch von der CSU, der CDU, der SPD oder den Grünen hat. „Wir kriegen das kaum noch gestemmt“, sagt etwa der Sprecher des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, eines Grünen.
Was nun? Eine einfache Antwort gibt es nicht. Es muss an allen Schrauben ein bisschen gedreht werden. Schärfere Kontrollen an den EU-Außengrenzen, schnellere Asylverfahren, mehr Abschiebungen, leichterer Wechsel vom Asyl- ins Einwanderungsverfahren. Und schließlich sollten wir uns an den Gedanken gewöhnen, dass die Menschen zu uns kommen wollen. Ist ja nicht das Schlechteste, was einem Land passieren kann.