https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wittenberg-antisemitisches-schmaehrelief-soll-an-kirche-bleiben-18415732.html

Wittenberg : Antisemitisches Schmährelief soll an Kirche bleiben

Viel diskutiert: Die Schmähplastik an der Südostecke der Stadtkirche von Wittenberg, aufgenommen am 23. August 2022 Bild: dpa

Der Gemeindekirchenrat der Wittenberger Stadtkirche will die „Judensau“ nun doch nicht von der Fassade abnehmen. Ein Expertengremium, das eine Entfernung empfahl, zeigt sich enttäuscht.

          1 Min.

          Nach jahrelangem Streit über die antisemitische Schmähplastik an der Wittenberger Stadtkirche hat der Gemeindekirchenrat entschieden, dass die „Judensau“ weiter an der Fassade des Gebäudes verbleibt. Der Kirchengemeinderat setzt sich damit über den Vorschlag eines von ihm eingesetzten Expertengremiums hinweg, wie am Mittwoch bekannt wurde.

          Reinhard Bingener
          Politischer Korrespondent für Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Bremen mit Sitz in Hannover.

          Das Expertengremium hatte im Juli eine möglichst rasche „Abnahme und Verbringung“ des Sandsteinreliefs aus dem 13. Jahrhundert empfohlen. Die Schmähplastik zeigt, wie Juden an den Zitzen eines Schweins hängen, das im Judentum als unreines Tier gilt.

          Die „lokale Sicht“ gab den Ausschlag

          Nach einem mehrjährigen Gerichtsstreit hatte der Bundesgerichtshof im Juni entschieden, dass kein rechtlicher Anspruch auf Entfernung dieses „in Stein gemeißelten Antisemitismus“ besteht. Die Richter argumentierten, dass aus dem vormaligen „Schandmal“ durch eine bereits 1988 beigefügte Bodenplatte sowie eine spätere Erklärtafel ein „Mahnmal“ geworden sei.

          Das ranghoch besetzte Expertengremium sprach sich kurze Zeit später dennoch dafür aus, der „Judensau“ ihre gegenwärtige Sichtbarkeit zu entziehen und sie stattdessen künftig in unmittelbarer Nähe der Kirche mit einer vertieften historischen Kontextualisierung zu präsentieren. Der Gemeindekirchenrat folgte diesem Rat „nach einem intensiven Austausch und anfänglich kontroversen Diskussionen“ nicht und möchte die bessere Kontextualisierung nun an Ort und Stelle leisten. Den Ausschlag dafür habe die „lokale Sicht“ gegeben, berichtete Stadtkirchenpfarrer Matthias Keilholz der F.A.Z., der selbst eine Entfernung des Schmähreliefs für die beste Lösung hält.

          In Teilen der Wittenberger Stadtgesellschaft wird die Debatte über die „Judensau“ auch in einen Zusammenhang mit der Diskussion um eine „Cancel Culture“ und einen „Bildersturm“ gestellt. Christoph Maier, der Moderator des Expertengremiums und Direktor der Evangelischen Akademie in Wittenberg, zeigte sich „überrascht und enttäuscht“ über die Entscheidung der Kirchengemeinde und beklagte eine fehlende Einbindung des Expertengremiums. Die Debatte dürfe nicht in „identitätspolitisches Fahrwasser“ geraten, warnte Maier gegenüber der F.A.Z.

          Weitere Themen

          Topmeldungen

          Ilan Şor 2019 bei einer Wahlveranstaltung in der Stadt Comrat. Er lebt mittlerweile in Israel, weil er in Moldau sofort festgenommen werden würde.

          Putins Mann in Moldau : Der gute Bankräuber von Orhei

          In Moldau setzt Russland auf einen Politiker, der wegen eines Milliarden-Diebstahls zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt worden ist. Solange er seinen Reichtum mit der Bevölkerung teilt, finden das nicht alle schlimm.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.