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Dreikönigstreffen der FDP : Lindner will vor die Werkstore ziehen

FDP-Chef Christian Lindner beim Dreikönigstreffen in Stuttgart am Montag Bild: dpa

Die Liberalen wollten eine Alternative für enttäuschte Sozialdemokraten werden, kündigt der FDP-Vorsitzende in Stuttgart an – und präsentiert einen, der diesen Wechsel schon hinter sich hat: den früheren Chef der Arbeitsagentur Florian Gerster.

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          Christian Lindner lässt keinen Zweifel daran, wo er neue Wähler für seine Partei finden will. Beim Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart warb er am Montag offensiv um enttäuschte Anhänger der Sozialdemokratie. Die SPD habe sich „völlig abgekoppelt von den Interessen und Bedürfnissen der Mitte unseres Landes“, sagte der FDP-Vorsitzende im Stuttgarter Opernhaus. Zwar habe seine Partei weiterhin „großen Respekt“ vor denjenigen, die es im Leben bereits zu etwas gebracht hätten. „Unser Herz und unsere Leidenschaft gehören aber jenen, die es mit Fleiß, Einsatzbereitschaft und Sparsamkeit im Leben zu etwas bringen wollen“, sagte er.

          Kim Björn Becker
          Redakteur in der Politik.
          Rüdiger Soldt
          Politischer Korrespondent in Baden-Württemberg.

          Am letzten Apriltag, also unmittelbar vor dem Tag der Arbeit, der am 1. Mai begangen wird, will die Partei darum bundesweit „vor die Werkstore“ ziehen, wie Lindner sagte. Dort wolle die Partei mit den Arbeitern ins Gespräch kommen. Der FDP-Chef sagte, es sei ein „Irrtum zu denken, dass alle Arbeiter eine linke Politik wollen“. Der FDP gehe es um „eine breite Mitte von Menschen, die gegenwärtig auf der Suche sind“.

          Gerster: SPD ist nicht reformierbar

          Um den Eindruck zu verstärken, dass die Liberalen in Zukunft auch für enttäuschte Sozialdemokraten eine Alternative sein könnten, präsentierte Lindner den Parteimitgliedern, die sich in großer Zahl wie jedes Jahr am 6. Januar im Stuttgarter Opernhaus versammelt hatten, einen, der diesen Wandel sogar in seiner Parteimitgliedschaft bereits hinter sich hat: Florian Gerster, 70, den früheren Landesminister in Rheinland-Pfalz und späteren Chef der Bundesagentur für Arbeit.

          Gerster trat mit 17 Jahren in die SPD ein und gehörte zu seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter dem konservativen Seeheimer Kreis an. Seine Entscheidung, von den Sozial- zu den Freidemokraten zu wechseln, sei das Ergebnis eines „Entfremdungsprozesses“, sagte Gerster der F.A.Z. „Die SPD ist in ihrem jetzigen Zustand nicht reformierbar.“

          Zwar sei ihm der Schritt nicht leichtgefallen, viele seiner früheren politischen Weggefährten seien von ihm enttäuscht. Doch er halte den Wechsel für richtig. „Dass die FDP jetzt vor die Werkstore gehen will, ist ein guter Gedanke“, lobte Gerster die neue Linie des Parteivorsitzenden Lindner. „Die SPD ist nicht mehr die Partei des sozialen Aufstiegs. Ich habe Mitleid mit ihr“, sagte Gerster.

          So überraschend wie Gerster im Stuttgarter Opernhaus erschienen und von Lindner öffentlich begrüßt worden war, so sehr überraschte ein anderer durch sein Fehlen. Der stellvertretende FDP-Parteivorsitzende Wolfgang Kubicki hatte seine Teilnahme am Dreikönigstreffen kurzfristig abgesagt. „Stuttgart ist keine Pflichtveranstaltung, sondern Kür“, sagte Kubicki am Montag der „Bild“-Zeitung. Die Absage begründete er mit Terminproblemen. Mit dem derzeitigen Zuspruch für die FDP in Umfragen zeigte sich Kubicki unzufrieden: „Wir dürfen uns mit unseren acht, neun Prozent nicht zufriedengeben“, sagte er und forderte seine Partei auf, sich kämpferischer zu zeigen.

          Kämpferisch gab sich Parteichef Lindner auf der Stuttgarter Bühne allemal. Mehrfach mahnte er in seiner gut einstündigen Rede, die er frei hielt, bei den derzeitigen politisch Verantwortlichen den Mut an, in größeren Dimensionen zu denken. Anstatt über die Einführung der Bonpflicht oder ein Tempolimit auf Autobahnen zu streiten, sollte Deutschland viel eher dafür kämpfen, eine Trasse für Hochgeschwindigkeitszüge mitten durch Europa zu bauen. Nichts würde Europa „mehr zusammenbringen“ als eine solche Verbindung zwischen Warschau und Madrid, sagte Lindner.

          „Wir sind eine Gestaltungspartei“

          Zugleich warb Lindner auch um jene, die sich in ihrer Ablehnung der Politik der großen Koalition in Berlin der AfD zuwenden. „Wir sind keine Protest-, sondern eine Gestaltungspartei“, sagte Lindner. Die FDP biete „politisch Heimatlosen eine Alternative zu den Rechtspopulisten“.

          Vor der Bürgerschaftswahl in Hamburg am 23. Februar warb die dortige FDP-Spitzenkandidatin, Anna von Treuenfels-Frowein, um Unterstützung. Sie rügte, dass es in Hamburg zuletzt zu „eklatanten Verletzungen des Rechtsstaats“ gekommen sei und erwähnte die Ausschreitungen anlässlich des G20-Gipfels 2017 sowie die abgesagten Vorlesungen des aus der Politik in den Hochschulbetrieb zurückgekehrten AfD-Gründers Bernd Lucke.

          Wenn Linke auf diese Weise ins öffentliche Geschehen eingriffen, sei das „kein Spiel und kein Spaß“, sagte Treuenfels-Frowein. „Wenn wir im Senat sind, werden wir einen starken Rechtsstaat verteidigen“, versprach sie und betonte, „optimistisch“ in die Wahl zu gehen. Vor fünf Jahren bekamen die Liberalen in Hamburg gut sieben Prozent der Stimmen, Umfragen sehen sie derzeit bei gut zehn Prozent.

          In Stuttgart rügte auch FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg linksextremistisch motivierte Gewalt. „Wir müssen den Rechtsstaat verteidigen“, sagte sie im Zusammenhang mit den Angriffen von mutmaßlichen Linksextremisten auf Polizisten in der Silvesternacht in Leipzig. Vor ihr sprach auch der Landesparteichef in Baden-Württemberg, Michael Theurer, das Thema an. Er übte scharfe Kritik an der neuen SPD-Parteivorsitzenden Saskia Esken, die die Einsatzstrategie der Leipziger Polizei öffentlich infrage gestellt hatte. Esken sei „unerfahren“ und zeige manchmal „die Sensibilität eines Presslufthammers“, sagte Theurer.

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