Bistum Limburg und Missbrauch : Den Schweigepanzer aufgebrochen
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Bischof Georg Bätzing Bild: Wonge Bergmann
Das Bistum Limburg dokumentiert erstmals den sexuellen Missbrauch in der eigenen Institution. Doch die Untersuchung soll nicht das Ende, sondern der Anfang eines Prozesses sein.
Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki stand seit September 2018 im Wort. Seit der Veröffentlichung der sogenannten MHG-Studie über sexuelle Gewalt in den 27 Bistümern in Deutschland hatte er die Gewissheit verbreitet, dereinst werde es eine von unabhängigen Fachleuten verfasste Studie geben, in der systemische Defizite wie auch persönliches Fehlverhalten ranghoher Kleriker beim Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln namhaft gemacht würden. Doch im letzten Moment verließ den Erzbischof und seinen Generalvikar Markus Hofmann der Mut.
Mehrere Geistliche, die sich mutmaßlich Fehlverhalten zuschreiben lassen mussten, allen voran der vormalige Kölner Personalchef und heutige Hamburger Erzbischof Stefan Heße, ließen Anwälte sprechen. Deren Drohkulisse aus diskussionswürdigen Behauptungen über die Verletzung von Persönlichkeitsrechten und Datenschutzerfordernisse verfehlte ihre Wirkung nicht. Mitte März wurde die Veröffentlichung der Studie auf unbestimmte Zeit verschoben.
Rechtsanwältin Claudia Burgsmüller als unabhängige Beobachterin
Um die Erhellung systemischer Defizite, aber auch um die Analyse von Mustern persönlichen Fehlverhaltens ging es in den vergangenen Monaten auch im Bistum Limburg. Ebenfalls unter dem Eindruck der MHG-Studie hatten der Limburger Bischof Georg Bätzing und die Präsidentin der Limburger Diözesanversammlung, Ingeborg Schillai, im Frühjahr 2019 ein noch ehrgeizigeres Aufarbeitungsprojekt als die Kölner Studie in Auftrag gegeben. Unter dem Stichwort „Betroffene hören – Missbrauch verhindern“ sollte rekonstruiert werden, was im Bistum Limburg seit den fünfziger Jahren vorgefallen war, also auch, wie und von wem Missbrauchstäter gedeckt, wenn nicht gefördert wurden. Überdies sollten Vorschläge erarbeitet werden, wie systemische Faktoren, die sexuelle Gewalt im Raum der Kirche begünstigen, eliminiert und Missbrauchstaten möglichst verhindert werden könnten.
Annähernd siebzig externe Fachleute und Mitarbeiter aus unterschiedlichen Bereichen des Bistums arbeiteten daraufhin von September 2019 an in acht Teilprojekten an so verschiedenen Themen wie Klerikalismus und Machtmissbrauch, Rollen von Männern und Frauen in der Kirche, der katholischen Sexualmoral als missbrauchsbegünstigendem Risikofaktor, Akten- und Personalführungskonzepten und Veränderungen des Kirchenrechts, um eine neue, auf Grundsätzen der Gewaltenteilung basierende Rechtskultur zu erzeugen. Begleitet und überwacht wurde die Arbeit aller Gruppen von der Wiesbadener Rechtsanwältin Claudia Burgsmüller. Die Juristin, die sich unter anderem bei der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs an der Odenwaldschule einen Namen gemacht hatte, sollte als unabhängige Beobachterin dafür Sorge tragen, dass den einzelnen Gruppen keine Hindernisse in den Weg gelegt würden.
Fallbeschreibungen werden für die Öffentlichkeit einsehbar sein
Wie notwendig diese Art der Prozesskontrolle war, zeigte sich auch in Limburg selbst noch auf den letzten Metern. Der Juristin kam eine Schlüsselrolle bei der Frage zu, was mit dem Kernstück des Aufarbeitungsprozesses geschehen solle, dem Bericht des Teilprojektes 1. Zwei vormalige Richter und eine Psychologin hatten darin im Wesentlichen auf der Basis von Personalakten und der Befragung noch lebender „Konstrukteure des Schweigepanzers“ (Burgsmüller) das Treiben von mehr als 40 Missbrauchstätern, die Vertuschungs- und Einschüchterungsstrategien von Personalverantwortlichen, Generalvikaren und Bischöfen sowie auch das oft grauenvolle Schicksal der Gewaltopfer rekonstruiert.
Als Schillai und Bätzing den gesamten, mehr als 400 Seiten umfassenden Projektbericht am Samstagnachmittag in der Frankfurter Paulskirche zwei Gewaltopfern stellvertretend für alle übergaben, erhielten diese ein Exemplar, das alle Fälle detailliert dokumentiert, in denen es nach heutigem Stand im Bistum Limburg seit 1950 zu sexueller Gewalt gegenüber Minderjährigen und Schutzbefohlenen gekommen ist. In der am Samstag im Internet veröffentlichten Fassung sind die Fallbeschreibungen nicht enthalten. Zur Begründung heißt es, die „Vermeidung von (Re-)Traumatisierungen von betroffenen Personen hat oberste Priorität“ und solle auf diesem Wege sichergestellt werden.
Dennoch will das Bistum auf Drängen der Projektgruppen wie auch der Juristin Transparenz walten lassen und alle Untersuchungsergebnisse offenlegen: Die Fallbeschreibungen werden im Bischöflichen Ordinariat in Limburg für die Öffentlichkeit einsehbar sein.
„Das sind wir den Betroffenen schuldig“
In der gedruckten wie in der Online-Version enthalten sind jedoch die Stellungnahmen der noch lebenden Personalverantwortlichen des Bistums zu den Missbrauchsfällen, von denen sie Kenntnis erlangten. Bei der Nennung der Namen dieser Herren, die sich zum Teil bis in die jüngste Vergangenheit hinein ohne Rücksicht auf die Gewaltopfer allein dem Schutz der Institution verpflichtet fühlten, wähnt sich das Bistum rechtlich auf der sicheren Seite. Bischöfe wie Franz Kamphaus, Generalvikare wie Franz Kaspar und Personaldezernenten wie Helmut Wanka handelten schließlich nicht als Privatpersonen, sondern in Ausübung ihrer Ämter als „relative Personen der Zeitgeschichte“ (Burgsmüller).
Die Abschlussveranstaltung in der Paulskirche, bei der Betroffene auch selbst zu Wort kamen, sollte nicht nur einen End-, sondern auch einen Anfangspunkt markieren: den „Beginn der Ehrlichkeit“ (Bätzing). So war im Zuge der Bearbeitung aller Teilprojekte eine derartige Fülle von Missständen in der Bistumsverwaltung identifiziert worden, dass die Verbesserungsvorschläge in einem eigenen Teilprojekt „Nachhaltigkeit“ gebündelt und in ein Implementierungskonzept überführt werden mussten. Bätzing, der seit März auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz ist, machte sich dieses Konzept am Samstag mit den Worten zu eigen, die Ergebnisse des Aufarbeitungsprojektes zeigten, dass es zu Veränderungen kommen müsse, „die weh tun und Diskussionen auslösen werden“. Nicht jede vorgeschlagene Maßnahme werde im Wortlaut verwirklicht werden können, doch deren Geist müsse zum Tragen kommen. „Das sind wir den Betroffenen schuldig“, so der Bischof.