Frau Hänel lässt nicht locker
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Steht im Mittelpunkt einer politischen Diskussion: die Ärztin Kristina Hänel in ihrer Praxis in Gießen Bild: Wolfgang Eilmes
Die Diskussion über Abtreibung und den Paragraphen 219a spaltet selbst die Groko. Im Zentrum der Debatte: eine Gießener Ärztin. Teile des Internets feiern sie als Heldin, andere feinden sie an.
Dass es Widerstand gibt, kennt Kristina Hänel schon. Seit mehr als drei Jahrzehnten führt die Ärztin Abtreibungen durch, erst in den Räumen einer Beratungsstelle, danach in der eigenen Praxis in der Innenstadt von Gießen. Eine Stahltür führt ins Innere, das Haus ist eingerahmt zwischen Schnellrestaurant und Telefongeschäft. Im Obergeschoss serviert Hänel Kaffee und Kekse. Da waren zum Beispiel diese Postkarten, sagt sie, Postkarten mit dem Bild eines Kindes darauf, dazu der Text: „Ihr habt mich wohl beim Schlachtfest vergessen.“ Und einmal, da habe sich eine Frau an das Fenstergitter der Beratungsstelle gekettet, aus Protest gegen das, was drinnen vor sich geht. Im vergangenen Jahr kam es dann zum Prozess. Abtreibungsgegner hatten Hänel angezeigt, weil sie auf ihrer Internetseite angibt, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Das Gericht wertete diese Information als unerlaubte Werbung für Abtreibungen und verhängte eine Geldstrafe. Und nun ist die 61 Jahre alte Hänel zum ersten Mal im Mittelpunkt einer politischen Diskussion, geführt auf höchster Ebene, an deren Ende gar das Aus für den Paragraphen 219a des Strafgesetzbuchs stehen könnte.
Am Donnerstag der vergangenen Woche übergab Hermann Gröhe das Bundesgesundheitsministerium an seinen Nachfolger Jens Spahn. Im Foyer des Ministeriums hielt der 37 Jahre alte CDU-Politiker seine erste Rede als Hausherr und nannte drei Schwerpunkte seiner zukünftigen Arbeit als Minister: Die Wartezeiten für gesetzlich Versicherte beim Arzt, die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte und die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Die Reform des Abtreibungsrechts war nicht darunter, doch kaum im Amt, sah sich Spahn zu einer Positionierung in dieser Frage genötigt. Kurz zuvor hatte die SPD einen bereits in den Bundestag eingebrachten Gesetzentwurf zurückgezogen. Dieser sah vor, dass der umstrittene Paragraph 219a, auf dessen Grundlage das Amtsgericht Gießen Kristina Hänel im November verurteilt hatte, aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird. Der Rückzug der Sozialdemokraten war ein Sieg der Konservativen innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die sich nicht damit abfinden wollten, dass die Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder (CDU) und Andrea Nahles (SPD) eine Sonderregelung vereinbart hatten.
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