Geheimdienste : Wer steckt hinter den NSA-Enthüllungen?
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National Security Agency (NSA): Unangenehme Wahrheiten Bild: dpa
Die vielen Enthüllungen über CIA und NSA belasten das europäisch-amerikanische Verhältnis. Wenn dies eine gezielte Geheimdienstoperation sein sollte, ist sie meisterhaft gebaut. Ein Gastbeitrag.
Gibt es hinter den NSA-Enthüllungen eine Instanz, einen Lenker und Urheber? Das ist und wird immer deutlicher eine berechtigte Frage. Denn die vielen Enthüllungen über CIA und NSA - ob durch Snowden oder Wikileaks - belasten das europäisch-amerikanische Verhältnis inzwischen stetig und strategisch relevant. Das ist eine Wirkung, ein sicherheitspolitischer Effekt, und bei derartigen Effekten ist es strategisch geboten, Spekulationen anzustellen, wer davon in welcher Weise profitiert - und ob ein geheimer Lenker in Frage kommt. Wählt man diesen Blickwinkel, lässt sich die Snowden-Saga ganz anders erzählen.
Als mögliche Agenten hinter dem Agenten kommen für die Vereinigten Staaten vor allem Russland und China in Frage. Beide Länder wollen Amerika seiner moralischen Vorreiterrolle in der Cyberdiplomatie berauben. Zudem ist nicht nur die moralische, sondern auch die technische und taktische Vorreiterrolle der Vereinigten Staaten in Teilen verloren. Die taktischen und technischen Einsichten aufgrund der Daten wären auch eine wichtige Verhandlungsmasse bei Alliierten von China und Russland wie Syrien und Nordkorea.
Risse im transatlantischen Bündnis - und wer profitiert?
Die russische Cybergang „Carbanak“ war Anfang des Jahres ein Vorbote. Sie haben sich NSA-Taktiken abgeguckt - und prompt eine Milliarde Dollar abgeräumt. Drittens schließlich profitieren Russland und China auch allgemeiner von den vielen Rissen im transatlantischen Bündnis. Beide profitieren von einem Zerwürfnis im Westen selbst, aber auch schon nur in der Wahrnehmung im Ausland. Beide Länder hätten also ein Motiv. Viele andere sicher auch, aber Russland und China wären in besonderem Maß in der Lage, eine solche Situation zu konstruieren.
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Mehr erfahrenDie Länder sind in Geheimdienstkreisen berühmt und berüchtigt für ihre große Gewichtung und hervorragende Beherrschung des Feldes der „Information Operations“ oder auch „Psychological Operations“, bei denen man Narrative und Wahrnehmungen aufbaut, um langfristige strategische Wirkungen zu erzielen.
Sieht man mit diesem paranoid geschliffenen Blick auf die Snowden-Historie, wird eine Reihe von Fragen möglich, die zumindest eine gewisse Plausibilität eines versteckten Lenkers ermöglicht. Wie konnte ein mittlerer Mitarbeiter eines Contractors als Einzeltäter jemals so unglaublich viele geheime und streng geheime Dokumente zu sich kanalisieren und unbemerkt exfiltrieren? Vielleicht ist das eine furchtbare Panne - auch das ist plausibel.
Die Snowden-Files - ein wahrer Schatz
Vielleicht gab es aber auch professionelle Helfer. Warum ist Edward Snowden nach Osten geflüchtet und nicht nach Süden? Klar - Russland ist möglicherweise ein besserer, sicherer Hafen als alle anderen Länder, wenn man vor der CIA flieht. Aber verschiedene südamerikanische Länder wären besser erreichbar gewesen und hätten ihm ebenfalls Asyl gewährt.
Warum wollte Snowden als vermeintlicher Bürgerrechtler ausgerechnet in die beiden Länder, die auf der weltweiten Liste der Überwacher, Manipulatoren und Zensoren des Internets ohne Zweifel ganz oben stehen? Kann man Snowden glauben, dass er China und Russland keine Kopien der 1,7 Millionen geheimer und streng geheimer Dokumente gegeben hat? Er war mit verschiedenen Laptops und Wechselmedien unterwegs und hat sich widersprüchlich dazu geäußert, ob er die Dokumente überhaupt dabei hatte oder nicht. Wenn er sie irgendwie dabeigehabt haben sollte, würden China und Russland ihn keinesfalls ohne eine entschlüsselte Kopie freundlich behandelt haben. Denn taktisch, strategisch und politisch sind die Snowden-Files ein wahrer Schatz. Daher wird auch für Snowden selbst eine Kopie der Dokumente eine wichtige Verhandlungsmasse gewesen sein.
Warum sind eigentlich in diesen Massen der Leaks bislang nur Dokumente aufgetaucht, die klar die europäisch-amerikanischen Verhältnisse belasten und nichts über China und Russland oder über deren Alliierte im Mittleren Osten enthalten?
Es ist kaum vorstellbar, dass in 1,7 Millionen NSA-CIA-Dokumenten kein Material über die Hauptpatienten der amerikanischen Nachrichtendienste zu finden ist. Und doch lesen wir genau über diese so gar nichts. In westlichen Nachrichtendienstkreisen kursiert hierzu das etwas wildere Gerücht, dass die Snowden-Files differentiell verschlüsselt sein könnten. Sie könnten thematisch gegliedert und in diesen Themenblöcken mit einzelnen Schlüsseln kryptiert sein. Der geheimnisvolle Lenker schickt dann den Aktivisten und der Presse zu bestimmten Zeiten bestimmte Schlüssel - und diktiert so den Verlauf der Erzählung und damit sehr präzise Aufbau und Ablauf der politischen Wirkung. Das würde gut zu den dort üblichen taktischen Verfahren passen.
Leaks in hoher Synchronizität
Die Sequenzierung der Leaks ist in den Diensten übrigens ebenfalls analysiert worden. Die Ergebnisse sind geheim und mir nicht bekannt, aber es wurde darauf hingewiesen, dass viele Leaks in hoher Synchronizität mit diplomatischen Begegnungen und Vorfällen standen. Vor bestimmten Verhandlungen etwa oder begleitend in bestimmten Momenten wichtiger Krisen. Dies wäre ein weiterer Indikator für einen Infokrieger im Hintergrund.
Nichts davon lässt sich belegen. Wenn es eine gezielte Operation sein sollte, ist sie meisterhaft gebaut. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie keine konstruierten Lügen auftischt, sondern die Wahrheit über NSA und Co. aufdeckt. Unangenehme Wahrheiten sind von jeher die besten Waffen im Infokrieg. Es bleibt ein Fakt, dass die Vereinigten Staaten viel getan haben, was als unverhältnismäßig und kaum gerechtfertigt beurteilt wird. Einige dieser Beschwerden mögen naiv sein. Den Wandel der Wahrnehmung jedoch wird das nicht aufhalten.
Der Autor Sandro Gaycken ist Senior Researcher für Cybersecurity und Cyberstrategy an der European School of Management and Technology in Berlin. Er berät die Nato und deutsche Unternehmen in Spionagefällen.