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Kritik an Grenzkontrollen : „Einschränkungen ohne Maß und Ziel“

Bundespolizisten kontrollieren am Montag aus Österreich kommende Autofahrer an der Autobahn A93 bei Kiefersfelden in Richtung Deutschland. Bild: dpa

Wegen Deutschlands Grenzkontrollen an der Grenze zu Tirol gibt es aus Österreichs Regierung heftige Kritik – auch am bayerischen Ministerpräsidenten Söder. An der tschechischen Grenze kommt es zum Verkehrschaos.

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          Mit den neuen Grenzkontrollen, die ein Beitrag im Kampf gegen die Corona-Pandemie sein sollen, hat sich die deutsche Regierung nicht nur Freunde gemacht. Vor allem im österreichischen Bundesland Tirol hat der Schritt Verstimmungen ausgelöst. Aus österreichischer Sicht fehlen den Einschränkungen „Maß und Ziel“, kritisierte Außenminister Alexander Schallenberg in Wien. Dabei geht es zum einen um den Transitverkehr zwischen Deutschland und Italien – es wird befürchtet, dass dieser sich infolge der Kontrollen in Tirol aufstaut. Zum anderen ist der Transit von Tirol nach Salzburg über deutsche Autobahnen beziehungsweise Bundesstraßen betroffen, im österreichischen Sprachgebrauch also das „große“ und „kleine deutsche Eck“.

          Stefan Locke
          Korrespondent für Sachsen und Thüringen mit Sitz in Dresden.
          Stephan Löwenstein
          Politischer Korrespondent mit Sitz in Wien.

          Österreich kontrolliert selbst die Binnengrenzen zu seinem Bundesland Tirol, aus dem nur ausreisen darf, wer einen negativen Corona-Test mit sich führt. Grund sowohl für die innerösterreichischen, als auch die deutschen Maßnahmen ist die Häufung von Infektionen mit der sogenannten Südafrika-Variante des Coronavirus in Tirol. Interessenvertreter von Speditionsunternehmen in beiden Ländern warnen davor, dass lange Staus, Umgehungsverkehr, aber auch gestörte Lieferketten mit erheblichen Folgewirkungen für die Produktion und Versorgung auch in Deutschland drohten. Deutschland verlangt von Lastwagenfahrern im Güterverkehr einen negativen Coronatest und eine Online-Anmeldung. Am Montagmorgen wurden allerdings noch keine erheblichen Verkehrsstörungen gemeldet.

          Außenminister Schallenberg warnte gleichwohl vor „überschießenden Schritten, die mehr schaden als nützen“. Innenminister Karl Nehammer kritisierte, die de-facto-Sperre des großen und kleinen deutschen Ecks für Österreicher sei „absolut inakzeptabel“. Diese Maßnahme von Bayern sei ferner „unausgegoren und löst nur Chaos aus“. Es sei eine Provokation, dass „mit dem Finger“ auf Tirol gezeigt werde. Dass die Versorgungssicherheit in weiten Teilen Europas in Gefahr sei, werde vom bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) „wohl bewusst negiert“.

          Söder wies die Kritik als „Unsinn“ zurück. Diese Äußerungen deuten auf eine tiefe Verstimmung zwischen Wien und München hin – aber auch darauf, dass sich insbesondere die Regierungspolitiker der christsozialen ÖVP veranlasst sehen, demonstrativ für Tirol Partei zu ergreifen. In der Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck regiert die ÖVP wie in Wien zusammen mit den Grünen; zuletzt hatte es Streit zwischen Wien und Innsbruck wegen der innerösterreichischen Maßnahmen gegenüber Tirol gegeben.

          Ein anderes Bild zeigt sich der deutsch-tschechischen Grenze. Auch dort werden die Grenzen kontrolliert, doch anders als im Süden sind die Folgen für den Straßenverkehr im Osten bereits deutlich sichtbar. Am Montag haben sich lange Staus gebildet, nachdem die Grenzkontrollen am Sonntag um Mitternacht in Kraft getreten waren. Am Sonntag sei es zunächst noch vergleichsweise ruhig gewesen, am späten Abend jedoch – nach dem Ende des Sonntagsfahrverbots für Lastwagen – habe der Verkehr enorm zugenommen, sagte Steffen Ehrlich von der Bundespolizeidirektion Pirna der F.A.Z.

          Lange Staus auf der Autobahn

          Auf der Autobahn 17, die von Dresden nach Prag führt, haben die Einsatzkräfte am Grenzübergang Breitenau im Ostergzebirge den Lastwagen- vom Autoverkehr getrennt. Während Lastwagen etwa 200 Meter vor der Kontrollstelle direkt auf der Autobahn abgefertigt wurden, blieb die eigentliche Abfertigungsstelle komplett für Autos frei. Pro Minute können etwa vier Lastwagen die Grenze passieren, hieß es. Dennoch staute sich der Lastwagenverkehr am Montagmorgen bis ins 20 Kilometer entfernte Aussig (Usti nad Labem). Viele deutsche Unternehmen – vor allem im Automobilbereich – haben ihre Zulieferer in der Tschechischen Republik und sind mangels Lagerhaltung auf pünktliche Lieferungen angewiesen.

          Ehrlich zufolge funktioniert die Lastwagen-Abfertigung auf der Autobahn weitgehend problemlos. „Die meisten Speditionen haben ihre Fahrer vorbildlich ausgerüstet, sie haben die digitale Einreiseanmeldung und den negativen Corona-Test dabei“, sagt er. Größere Probleme bereiteten jedoch die Einreisen per Auto. Allein in den zurückliegenden 24 Stunden habe man „eine vierstellige Zahl an Personen von der Einreise abweisen“ müssen. In der Mehrzahl der Fälle habe ein triftiger Grund für die Einreise gefehlt, oft auch ein negativer Corona-Test. Letzterer könne – sofern die Einreise erlaubt sei – auch an der Grenzstation kostenpflichtig nachgeholt werden, sagte Ehrlich.

          Auch deshalb habe die Abfertigungszeit für Autos am Montag bei etwa sechs Stunden gelegen. Triftige Gründe für die Einreise nach Deutschland sind etwa vom Einreiseverbot ausgenommene Berufe wie Ärzte und Pflegepersonal sowie Ausländer mit ständiger Aufenthaltserlaubnis oder Wohnsitz in Deutschland. Die meisten Berufspendler nutzten jedoch die Übergänge an Bundes- und Landstraßen. Von dort wurden am Montag deutlich weniger Probleme gemeldet. Laut Ehrlich erwartet die Bundespolizei, dass sich auch an der Autobahn die Lage im Laufe des Montags entspannt.

          Scharfe Kritik an der Schließung der Grenzen im Osten übten der Verband der Sächsischen Wirtschaft und der Deutsche Gewerkschaftsbund Sachsen (DGB). In seltener Einmütigkeit verurteilten sie die Grenzschließung als „lebensfremd und unehrlich“. Pflegekräfte dürften nur kommen, weil dort die Not besonders groß sei, während andere Mitarbeiter fernbleiben müssten.

          „Sachsen lässt unsere Nachbarn nicht zur Arbeit kommen, nur jene die man gerade besonders braucht“, erklärten Sachsens DGB-Chef Markus Schlimbach und Arbeitgeberpräsident Jörg Brückner. Man brauche aber alle Mitarbeiter. Zudem sei es das ureigene Interesse aller Arbeitgeber, auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu achten. Sie appellierten an die Regierung, allen Pendlern die Einreise bei negativem Testergebnis wieder zu ermöglichen.

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