Wahlrecht : Die Ampel will auf die CSU zugehen
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Könnten sie eine Liste bilden? CSU-Landesgruppenchef Dobrindt und CDU-Chef Merz im Bundestag Bild: dpa
Die Ampel erwägt nach der Wahlrechtsreform die Möglichkeit einer Listenverbindung. Das würde der CSU helfen, doch die will sich nicht besänftigen lassen. Sie hat schon beschlossen, nach Karlsruhe zu ziehen.
Angesichts der Proteste aus der Union gegen das neue Wahlrecht will die Ampel auf die Opposition zugehen und erwägt, im Bundeswahlgesetz die Möglichkeit einer Listenverbindung zu schaffen. Die CSU, die bei der Bundestagswahl 2021 bundesweit 5,2 Prozent erzielt hatte, müsste dann nicht mehr aus eigener Kraft die Fünfprozenthürde überwinden, das Ergebnis von CDU und CSU könnte zusammengezählt werden. Man werde dazu nun das Gespräch mit der Union suchen, heißt es von Ampelpolitikern.
Die CSU aber will von solchen Gesprächen derzeit nichts wissen. Die Grundlage dafür sei dadurch entfallen, dass die Ampelfraktionen am vergangenen Freitag das Wahlrecht beschlossen haben, obwohl der Unionsfraktionsvorsitzende Friedrich Merz (CDU) um Verschiebung der dritten Lesung um zwei Wochen gebeten habe.
Der Weg, den CDU und CSU gehen wollen, ist ein anderer: Sie klagen vor dem Bundesverfassungsgericht. Der Parteivorstand der CSU hat schon beschlossen, nach Karlsruhe zu ziehen. Die bayerische Landesregierung will eine abstrakte Normenkontrolle beantragen, das werden wohl auch die Abgeordneten der Unionsfraktion tun.
Das Verhältnis von CDU und CSU ist kompliziert
Fraglich ist außerdem, inwiefern die Idee einer Listenverbindung rechtlich überhaupt zulässig ist. Derzeit gibt es dazu keine Regelung im Bundeswahlgesetz. Vielmehr schreibt das Wahlgesetz vor, dass eine Partei in jedem Bundesland nur eine Landesliste einreichen darf. Das ließe sich ändern, aber nur in den Grenzen, welche die Verfassung gewährt.
Derzeit dreht sich die Debatte um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem September 1990: Karlsruhe sah damals in Listenverbindungen, die dem Ziel dienen, die Fünfprozenthürde zu überwinden, einen Verstoß gegen die Chancengleichheit und erklärte sie daher für unvereinbar mit dem Grundgesetz.
Doch unklar ist schon, inwieweit die Entscheidung, die die Besonderheiten der Parteienlandschaft nach der Wiedervereinigung berücksichtigt, auf die heutige Lage übertragbar ist. Selbst wenn sie das ist, lässt das Urteil ein Fenster für eine verfassungskonforme Kooperation zweier Parteien. Denn Karlsruhe unterscheidet zwischen einer „bloßen Zählgemeinschaft“ zweier Parteien und einer „verfestigten Form des Zusammenwirkens“. Das Verfassungsgericht hatte hier das Szenario der Volkskammerwahl im März 1990 vor Augen, in der mehrere Parteien eine Liste aufstellten.
Denkbar wären auch andere Möglichkeiten des verfestigten Zusammenwirkens, die man im Gesetz festlegen könnte: ein gemeinsames Wahlprogramm und eine gemeinsame Vertrauensperson etwa.
Für die CSU scheiden solche Gedankenspiele schon aus politischen Gründen aus. Ampelpolitiker haben der Union in den vergangenen Tagen Etikettenschwindel vorgeworfen: Vor der Wahl seien es zwei Parteien, nach der Wahl faktisch nur noch eine. Das Verhältnis der Schwesterparteien ist kompliziert. Aus Sicht der CSU ist jedoch klar, dass die Unabhängigkeit von der CDU, die zuweilen in eine Opposition abgleitet, zu ihrem Erfolgsrezept gehört.
Der Berliner Staatsrechtslehrer Christoph Möllers, der die Ampelparteien beraten hat, mahnt unterdessen im „Spiegel“, dass „zu viel über verfassungsgemäße Pflichten und zu wenig über politische Gestaltungsmöglichkeiten“ gesprochen werde. Er hält weder die Beibehaltung noch die Streichung der Grundmandatsklausel für verfassungsrechtlich zwingend, das sei eine politische Frage, keine des Verfassungsrechts. Möllers’ Einschätzung: Es wäre „politisch weniger riskant“, die Klausel beizubehalten.