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Wahljahr 2017 : Die Freien Demokraten sind wieder da

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner will mit seiner Partei den Wiederaufstieg in die politische Bundesliga schaffen. Bild: dpa

Totgesagte leben länger. Dieser Kalauer trifft auch auf die FDP zu. Nach ihrem Rauswurf aus dem Bundestag wurde schon vom Ende der Liberalen gesprochen. Doch neun Monate vor der Bundestagswahl stehen die Chancen für einen Wiedereinzug gut. Eine Analyse.

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          Aus der Versenkung aufgetaucht ist in diesem Jahr die FDP. Bei allen fünf Landtagswahlen haben die Liberalen frühere Ergebnisse verbessert. Sie sind in neun Landesparlamenten vertreten. In Rheinland-Pfalz regiert die Partei wieder mit. Für die kommenden Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen stehen ihre Chancen gut. Umfragen sehen die Freien Demokraten dort seit einiger Zeit zwischen acht und zehn Prozent. Wenn sie ihren Kurs und ihren inneren Zusammenhalt beibehalten, haben sie gute Aussichten, in diesem Jahr auch wieder in den Bundestag einzuziehen.

          Peter Carstens
          Politischer Korrespondent in Berlin

          Egal, ob man die Partei wählen würde oder nicht, dieser Wiederaufstieg aus der Bedeutungslosigkeit ist ein politischer Gewinn: Denn es war ja doch ein Jahr aufgeheizter politischer Stimmungen und teilweise schamloser Denunziationen politischer Gegner. Viele Wähler sind ins Wutbürgerlager der Gauländischen-Bewegung gewechselt. Inmitten des Gebrodels hat sich eine kleine Truppe wieder bemerkbar gemacht, die auch als außerparlamentarische Opposition auf demokratische Tugenden setzt.

          Auf pro-europäischem Kurs geblieben

          So ist die FDP nach ihrer Wahlniederlage 2013 auf pro-europäischem Kurs geblieben. Aber sie hat die organisierte Entwertung deutscher Sparguthaben und der Altersvorsorge hart kritisiert. Die Partei will die Europäische Union verbessern, nicht abschaffen. Riesenausgaben für die Wohlfahrtspolitik der großen Koalition hat sie ebenso angeprangert wie die sauteure Energiewende. Kritik übt sie innerhalb und zum Wohle des „Systems“, das von der AfD recht unverhohlen abgelehnt wird.

          In der Flüchtlingspolitik hielten die Liberalen den Kurs Angela Merkels für falsch und gingen auf Distanz zur Kanzlerin. Aber sie schlugen aus ihren Argumenten kein Fünkchen Rassismus oder gaben die Volkstod-Attitüde. Dennoch wurden sie gewählt. Das ist eine gute Nachricht: Wer nicht mit Wut, Verachtung und Abendlanduntergang um Stimmen wirbt, kann trotzdem erfolgreich sein. Er wird allerdings seltener in Talkshows eingeladen. Auch das mussten die Freien Demokraten durchmachen. Der AfD schenkten die Sender im Streben nach gefühltem Volksproporz Hunderte Stunden Werbezeit für ihre Wutparolen.

          Politiker der Liberalen mussten stattdessen Saal für Saal regionale Mittelstandsverbände und Vereine abfahren, um ihre Vorschläge zu präsentieren. Das seit drei Jahren durchzuhalten ist eine Konditions- und Konzentrationsleistung, für die ihnen allmählich Achtung und Respekt gezollt wird. Ein interessantes Indiz dafür, dass Differenzierung ihre Anhänger findet, war das Ergebnis der Kommunalwahl in Hessen im Frühjahr. Da errangen die Liberalen im Landesdurchschnitt ihr bestes Ergebnis seit den siebziger Jahren. Anerkennung gibt es dafür selbst bei den Sozialdemokraten, obwohl 2013 bei ihnen die Freude über das Scheitern der FDP riesig war.

          Jetzt erwägen sie sogar Koalitionsmöglichkeiten. Kürzlich setzte sich der sozialdemokratische Haushaltspolitiker Carsten Schneider in einer Pressemitteilung mit der FDP auseinander. Die hatte gefordert, bald drei Jahrzehnte nach der Einheit den Ost-Soli abzuschaffen. Natürlich war Schneider dagegen. Wichtiger aber war, dass er es für geboten hielt, sich damit überhaupt zu befassen. Vor anderthalb Jahren hätte Schneider eine Äußerung der damaligen Drei-Prozent-Partei einfach ignoriert. Fünf Jahre lang lag die FDP bei solchen Werten, inzwischen kommt sie seit Monaten in bundesweiten Umfragen über fünf Prozent.

          Zuversicht und Hoffnung sind ihnen näher als Wut

          Die Liberalen stehen für einen individualistischen Freiheitsbegriff, für himmelweite Bürgerrechte. Zuversicht und Hoffnung sind ihnen näher als Wut-und-Blut-Reden. Sie durchdenken die digitale Zukunft, widmen sich der Bildungspolitik, suchen die Diskussion über wirtschafts- und steuerpolitische Fragen. Das sind Themen, die für unser Land wichtig sind, so wie die Einwanderungsdebatte. Volkspartei will die FDP damit natürlich nicht mehr werden, dieser Traum ist ausgeträumt.

          Aber die Freien Demokraten sind eine Art politisches Serum gegen die brutale Vereinfachung der Zusammenhänge. Erstritten hat die gute Ausgangslage der Vorsitzende Christian Lindner, gemeinsam mit einer Parteiführung des guten Zusammenhalts. Auch das ist eine Neuigkeit über die früher notorisch profilsüchtigen FDP-Leute. Lindner hat aus der Insolvenzmasse seiner Partei etwas Neues gemacht, ohne ihre Geschichte zu verraten.

          Dabei hat ihm die Existenz der radikalisierten AfD geholfen. An ihrem Beispiel konnte er seinen eurokritischen Parteifreunden zeigen, wie rasch über Europaskepsis und Asylkritik der Weg zu Nachbar Boateng und offener Gewaltpropaganda führt. Einige in der Partei hatten nämlich von einer rechtspopulistischen Wendepartei geträumt. Davon hat Lindner nichts gehalten. Auch diese Auseinandersetzung haben er und die Männer und Frauen an seiner Seite gewonnen. Nun kann das Wahljahr 2017 beginnen. Und selbst wenn es ihr auf Anhieb schwerfiele: Es kann sein, dass die FDP ab Herbst wieder in Berlin regieren muss.

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