Vorwürfe gegen de Maizière : Kritik an Hubschrauberprojekt der Bundeswehr
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Verteidigungsminister de Maizière neben einem NH90 Helikopter der deutschen Bundeswehr Bild: dpa
Trotz erheblicher Zweifel treibt das Verteidigungsministerium ein weiteres milliardenschweres Rüstungsprojekt voran. Vorwürfe gegen Verteidigungsminister de Maizière werden laut.
Nach dem Desaster um die Aufklärungsdrohne Euro Hawk treibt das Verteidigungsministerium trotz erheblicher Zweifel ein weiteres milliardenschweres Rüstungsprojekt voran. Ein unter Verschluss gehaltener Bericht der Bundeswehr kommt zu dem Ergebnis, dass der Hubschrauber NH90 als „mehrrollenfähiger Hubschrauber“ in der Marine ungeeignet sei. Trotzdem plant das Verteidigungsministerium 18 „NH90“ in der Version „NFH NGEN Sea Lion“ im Wert von 915 Millionen Euro für die Seestreitkräfte zu kaufen. Die Hubschrauber werden vom deutsch-französisch-spanischen Luftfahrtunternehmen Eurocopter hergestellt.
Der Bericht vom Juli 2011, der dieser Zeitung vorliegt, fasst das Ergebnis einer Ausschreibung zusammen, in deren Folge sich die Marine für die Beschaffung eines Hubschraubers der amerikanischen Firma Sikorsky ausgesprochen hatte. Das Bieterverfahren wurde jedoch vom Verteidigungsministerium Ende Oktober 2011 mit der Begründung aufgehoben, die erforderlichen Haushaltsmittel stünden nicht zur Verfügung.
Im März dieses Jahres vergab das Verteidigungsministerium den Auftrag über die Marinehubschrauber dann ohne neue Ausschreibung an Eurocopter. Dabei setzte es sich über die vom Verteidigungsausschuss erhobene Forderung hinweg, das Vorhaben zunächst im Parlament zu beraten. Mit der Koalitionsmehrheit genehmigte der Haushaltsausschuss Ende Juni die Auftragsvergabe. Marineoffiziere schätzen, mit dem Kauf der „Sea Lion“ käme es zu Folgekosten von 2,75 Milliarden Euro. Davon profitiere vor allem Eurocopter.
Verteidigungsminister weist Kritik zurück
SPD-Verteidigungsfachmann Bartels wirft Verteidigungsminister de Maizière (CDU) ein „abgekartetes Spiel mit der Rüstungsindustrie zu Lasten der operationellen Einsatzfähigkeit der Marine“ vor. „Das Vorgehen ist absolut inakzeptabel“, sagte er dieser Zeitung. Der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, spricht von einem „unfassbaren Vorgang am Parlament vorbei“. Der Bundesrechnungshof hat das Vorgehen des Verteidigungsministeriums öffentlich als wettbewerbswidrig gerügt und diese Rüge in einem als „VS-Vertraulich“ eingestuften Bericht im Juni begründet.
Es werde verhindert, „dass andere Unternehmen die Möglichkeit zur Teilnahme an einem Vergabeverfahren“ für den Marine-Auftrag hätten, schreiben die Rechnungsprüfer. Es sei zweifelhaft, ob das Ministerium die Gebote der Wirtschaftlichkeit und Chancengleichheit „hinreichend beachtet“ habe.
Das Verteidigungsministerium weist die Kritik am Vergabeverfahren zurück. Es bestehe keine Verpflichtung zur Ausschreibung, sagte ein Ministeriumssprecher dieser Zeitung. Darüber hinaus werde der Hubschrauber so gebaut, dass er „nach einer entsprechenden politischen Entscheidung in der Zukunft auch die Fähigkeiten für Unter- und Überwassereinsätze erfüllt“. „Der NH90 in der Marineversion besitzt erhebliches Aufwuchspotenzial bei Einsätzen in der Seeraumüberwachung“, teilte der Sprecher mit.
Wartungsaufwand und Kosten steigen seit Jahren
Bei der Europäischen Kommission in Brüssel ist inzwischen eine Beschwerde gegen das Vorgehen des Verteidigungsministeriums eingegangen. De Maizière und Rüstungsstaatssekretär Stéphane Beemelmans werden darin „mögliche Verstöße“ gegen das europäische Wettbewerbs- und Vergaberecht vorgeworfen.
Die deutsche Marine verfügt derzeit über zwei Hubschraubertypen. Der mehr als 40 Jahre alte „Sea King“ wird auf Versorgungsschiffen und im Such- und Rettungsdienst, der „Sea Lynx“ auf Fregatten und Korvetten eingesetzt. Langfristig will die Marine 30 Hubschrauber nur noch eines Typs betreiben. Bordhubschrauber sind für moderne Seestreitkräfte unabdingbar. Seit Jahren steigen jedoch Wartungsaufwand und Kosten für die beiden Hubschraubertypen, weil sich ihre Lebensdauer dem Ende nähert. In der Marine heißt es, von 15 „Sea King“ seien nur noch vier bis fünf regelmäßig einsatzbereit.
Entscheidung für Marinehubschrauber „Sea Lion“
Als Nachfolgemodell von „Sea King“ und „Sea Lynx“ favorisierte die Marine bislang eine deutsche Lizenzfertigung des von Sikorsky entwickelten „CH-148 Cyclone“. Dieser Hubschrauber, heißt es in einem internen Bericht, habe „die gestellten militärischen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen zu mehr als 90 Prozent erfüllt“ und weise neben deutlich höheren Zuwachspotenzialen „im Vergleich mit dem NH90 fast doppelt so hohe operative Nutzwerte“ auf. Ein Sprecher von Eurocopter äußerte gegenüber F.A.Z., er könne diese Einschätzung nicht verstehen. Nato-Partner wie Frankreich, Italien und Norwegen würden die Marineversion des „NH90“ seit Jahren erfolgreich auf ihren Schiffen einsetzen.
Die Bestellung von 18 „NH90“ in der Version „NFH NGEN Sea Lion“ ist Teil einer Vereinbarung, die das Verteidigungsministerium und Eurocopter am 15. März 2013 getroffen haben. Danach soll die Zahl der langfristig für das Heer bestellten Hubschrauber „Tiger“ und „NH90“ von 202 auf 139 reduziert werden. Zugleich hat sich das Verteidigungsministerium dazu verpflichtet, zusätzlich 18 zum „Sea Lion“ umgebaute „NH90“ für die Marine zu beschaffen. Diese Vereinbarung wird von Luftfahrtfachleuten als Entschädigung Eurocopters für die Reduzierung des Großauftrags um 63 Maschinen gewertet. Dem Unternehmen entgingen durch die Streichungen langfristig Milliardeneinnahmen, die im Laufe eines „Hubschrauberlebens“ durch Wartung und Ersatzteillieferungen entstehen. Dadurch sei der Kaufpreis für die 202 Hubschrauber von ursprünglich 8,3 Milliarden Euro nur um 224 Millionen Euro gesunken. Einer Reduzierung der Stückzahl um 22 Prozent stehe damit eine Kostenersparnis von lediglich 2,7 Prozent gegenüber.
In Marinekreisen wurde die Entscheidung für den „NH90 Sea Lion“ mit Enttäuschung zur Kenntnis genommen.
Die Hubschrauber der Bundeswehr
Neben dem Marinehubschrauber „Sea Lion“ soll es in der Bundeswehr künftig noch vier weitere Hubschraubertypen geben. Sie stammen allesamt von Eurocopter. Das Gesamtvolumen der Beschaffungen beläuft sich auf rund neuneinhalb Milliarden Euro.
Kampfhubschrauber „Tiger“
Ursprünglich sollten 80 Hubschrauber zum Preis von 3,6 Milliarden Euro beschafft werden. Nun kauft das Ministerium nur noch 57 für 3,4 Milliarden Euro. Elf Hubschrauber sollen als Ersatzteillager dienen. 28 „Tiger“ wurden bislang an die Bundeswehr ausgeliefert. Vier von ihnen werden seit Jahresbeginn in Afghanistan eingesetzt. Zwischenfälle sind bisher nicht bekannt geworden, seine volle Operationsfähigkeit hat der Hubschrauber aber noch nicht erreicht.
NH90 Transporthubschrauber
Von 122 NH90 werden noch 82 für das Deutsche Heer im Wert von 4,1 Milliarden Euro beschafft. 28 Hubschrauber sind ausgeliefert, als Vorserienversion jedoch nur beschränkt einsatzfähig. Ursprünglich hätten alle 82 Hubschrauber bis Dezember 2012 voll operationsfähig ausgeliefert sein sollen. Von vier in Afghanistan eingesetzten NH90 sind derzeit zwei nach fliegerischen und technischen Zwischenfällen nicht einsetzbar.
Schulungshubschrauber EC-135T1
Die im Juli 1997 zur fliegerischen Grundausbildung von Piloten gekauften 15 Schulungshubschrauber (Stückpreis: 46,5 Millionen Euro) erwiesen sich mit ihrer Einführung im August 2000 als Fehlinvestition, was auch der Bundesrechnungshof im Jahr 2004 feststellte. Der EC-135 ist für bestimmte Flugmanöver in der Ausbildung (Autorotation) untauglich. Interimsweise wird daher seit 2004 der zweimotorige Bo-105 eingesetzt, der aber aus Alters- und Wirtschaftlichkeitsgründen seit 2012 nach und nach ausgemustert wird. Seit 2004 sollen neun voll autorotationsfähige einmotorige Basisschulungshubschrauber beschafft werden. Vor drei Jahren wurde ein Verhandlungsverfahren eröffnet, das Mitwettbewerber beim Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung gerügt haben, weil die Ausschreibung auf Eurocopter zugeschnitten sei. Seitdem ruht das Verfahren.
Leichter Mehrzweckhubschrauber für Spezialkräfte (SOF-LUH) EC-645T2
Der SOF-LUH basiert auf einem zivilen Hubschrauber (EC-145), der vornehmlich für den Polizeidienst und die Luftrettung konzipiert wurde. Der Haushaltsausschuss des Bundestages genehmigte kurz vor der Sommerpause die Beschaffung von 15 Hubschraubern für insgesamt 195 Millionen Euro. Im Gegensatz zu anderen Ausschreibungen wurden ein Bereitstellungs- und Wartungsvertrag sowie die Ausrüstung und Bewaffnung im Gesamtwert von mehr als 600 Millionen Euro (bezogen auf eine „Lebensdauer“von 30 Jahren) nicht berücksichtigt. Eurocopter-Konkurrenten sprechen von Wettbewerbsverzerrung. Die Ausschreibung und damit auch die Vergabe der Wartungs- und Instandhaltungsverträge seien auf Eurocopter zugeschnitten gewesen. Luftfahrtfachleute bezweifeln die Tauglichkeit des EC-645T2 für den Spezialkräfteeinsatz. Seine Leistungsfähigkeit sei in großen Höhen und bei hohen Temperaturen stark eingeschränkt und seine Kabine für einen voll ausgerüsteten KSK-Trupp (vier bis fünf Soldaten) zu klein. Die Größe der Schiebetüren verhindere den effektiven Einsatz von Bordwaffen und mache ein schnelles Absetzen und eine zügige Wiederaufnahme der Soldaten unmöglich. Nach Auskunft des Verteidigungsministeriums sind diese Einschätzungen falsch.