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CDU alleinige Volkspartei? : Demokratie braucht Konkurrenz

  • -Aktualisiert am

Gute Laune bei Bundeskanzlerin Angela Merkel: Hat sich die SPD mit Sigmar Gabriel längst an die Rolle als Juniorpartner in der Regierung arrangiert? Bild: Matthias Lüdecke

Weil die SPD weiter schwächelt, ist allein die CDU noch eine echte Volkspartei. Das mag ihre Vorsitzende Angela Merkel freuen, ist aber nicht ohne Risiko für das Land und das politische System. Ein Kommentar.

          3 Min.

          Die Beobachtung, dass das Ende der Volksparteien bevorstehe, ist nicht neu. Vor allem die beiden großen Parteien, die selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen, das Volk in seiner Breite so zu vertreten, dass sie sich auch mit seinem Namen schmücken können, klagen über Mitgliederschwund. Besonders die SPD hat viele Mitglieder verloren. Die CDU kann sich ihre Verluste damit ein bisschen schönreden, dass der jahrzehntelange, erhebliche Vorsprung der Sozialdemokraten bei den Mitgliederzahlen inzwischen verschwunden ist. Aber das ist ein schwacher Trost.

          Die politisch engagierten Bürger verteilen sich mittlerweile auf eine größere Zahl von Parteien, von denen die einen kommen und bleiben wie die Grünen, die anderen kommen und gehen wie die Piraten - und die dritten die Frage, ob sie nach ihrem plötzlichen Kommen ebenso plötzlich verschwinden, noch nicht beantwortet haben. Das ist die AfD. Wieder andere scheinen zurückzukehren: die FDP. Grundsätzlich hat das Volk also noch Interesse an den Parteien.

          Wie immer Politikwissenschaftler den Begriff Volkspartei definieren, für den Volksmund sind es diejenigen, die mit Aussicht auf Erfolg einen Kanzlerkandidaten aufstellen, also CDU/CSU und SPD. Dass die FDP im Jahre 2002 auch mal so einen Versuch unternommen hatte, machte sie noch lange nicht zur Volkspartei. Nimmt man den exekutiven Führungsanspruch durch das Aufstellen eines Kanzlerkandidaten zum Maßstab, so zeichnet sich tatsächlich eine fundamentale Veränderung ab.

          Nicht die Volksparteien verschwinden, sondern eine von ihnen kämpft um ihren Status als solche. Die Wahl- und Umfrageergebnisse der SPD sind zwar schon längere Zeit so, dass sich daraus nur sehr geringe Aussichten auf die Zurückeroberung des Kanzleramtes ableiten lassen. Doch nach dem kläglichen Scheitern der „Stones“, also der Kandidaten Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück, bei den beiden vergangenen Bundestagswahlen drängt die Debatte, ob es sich wirklich lohne, den nächsten führenden Sozialdemokraten in einem aussichtslosen Kampf gegen die übermächtige Angela Merkel zu verheizen, an die Oberfläche. Kurz wurde sie schon geführt, aber sofort wieder unterdrückt. Etwas länger hält die Diskussion darüber an, ob der sozialdemokratische Kanzlerkandidat in einer Urwahl bestimmt werden solle. Beides sind Signale der Verzweiflung, weil sie zeigen, dass ein aussichtsreicher Bewerber nicht in Sicht ist.

          Die jüngste Sondersitzung des Bundestages zum dritten Griechenland-Paket hat mitten in der parlamentarischen Sommerpause vorgeführt, wie es aussieht, wenn es nur noch eine Volkspartei in Deutschland gibt. Vordergründig ging es darum, dass mehr als sechzig Unionsleute der Kanzlerin in der Europa-Politik die Gefolgschaft verweigert haben. Für ein paar aufgeregte Schlagzeilen nach dem Motto „Widerstand gegen Merkel“ taugt so etwas immer.

          Eine komfortable Lage für die Kanzlerin

          Bei genauem Hinsehen erweist sich die Situation jedoch als Beleg für die These, dass es nur noch eine Volkspartei gibt: die aus CDU und CSU zusammengesetzte Union. Sie kann es sich leisten, Regierung und Opposition in einem zu sein; ganz so, als würde sie mit absoluter Mehrheit regieren. Denn die Stimmen, welche die Bundesregierung für ihren Kurs braucht, liefern ja die anderen Parteien. Statt die Gunst der Stunde zu nutzen und Merkel samt ihrer CDU mal kurz die Folterwerkzeuge zu zeigen, haben SPD und Grüne ihr mit höchstem staatsbürgerlichen Verantwortungsbewusstsein aus der Patsche geholfen.

          Für die CDU und ihre Vorsitzende ist das eine komfortable Lage. Und selbstverständlich kann man Angela Merkel und ihrer Truppe ihren Erfolg nicht zum Vorwurf machen.

          Was aber heißt das für das politische System der Bundesrepublik? In Artikel 21 des Grundgesetzes steht schließlich, dass „die Parteien“ an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken. Nicht „die Partei“. Die Bundesrepublik ist in den gut 66 Jahren ihres Bestehens gut damit gefahren, dass die CDU über lange Strecken den Kanzler gestellt und das Land geführt hat. Ebenfalls gut ist sie jedoch mit dem Wechsel gefahren. Gerade der Tod von Egon Bahr hat noch einmal die Bedeutung der Ostpolitik in Erinnerung gerufen. Und nicht einmal in der CDU wird bestritten, wie wichtig die Arbeitsmarktreformen des Sozialdemokraten Schröder waren.

          Konkurrenz ist für eine von Parteien getragene Demokratie lebenswichtig. Sonst besteht die Gefahr, dass die Partei, die ständig dominiert, vergisst, dass ihr die Macht vom Volk nur auf Zeit verliehen wurde. Doch mit einer SPD, die sich allmählich im 25-Prozent-Eck einrichtet, und zwei linken Oppositionsparteien, die keinen rechten Regierungswillen erkennen lassen, wird sich an dieser Situation nichts ändern.

          Vielleicht findet sich nach der nächsten Wahl ja eine kleine Partei, die mit der größeren - vermutlich also der CDU - eine Regierung bildet. Noch einmal große Koalition wäre für die Union bequem (und für eine darbende SPD die einzige Chance zur Beteiligung an der Macht). Für den politischen Wettbewerb wäre sie lähmend und auf Dauer sogar gefährlich. Man muss den Wechsel nicht wollen. Aber er muss möglich bleiben.

          Eckart Lohse
          Leiter der Parlamentsredaktion in Berlin.

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