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Volksabstimmungen : Büchse der Pandora

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Finanzminister Schäuble hat mit seinen Äußerungen zu einer Volkabstimmung über die Entwicklung der EU eine Debatte angestoßen, die sich nur schwer wieder einfangen lässt. Für manchen ist damit endlich das Tor zu einer Republik aufgestoßen worden, in der das Volk mehr zu sagen hat.

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          Man kann darüber streiten, ob der Präsident des höchsten deutschen Gerichtes gut beraten war, im Zusammenhang mit der künftigen Entwicklung der EU öffentlich über das Instrument einer Volksabstimmung zu räsonieren. Allerdings konnte sich Andreas Voßkuhle dabei auf einen Passus des Karlsruher Lissabon-Urteils berufen, in dem es ausdrücklich heißt, „über einen Identitätswechsel der Bundesrepublik Deutschland“ im Zuge der europäischen Integration müssten die Bürger gemäß Artikel 146 entscheiden.

          Wegen eines Interviews von Finanzminister Schäuble ist diese Debatte nun endgültig in der Politik angekommen, und es wird nicht einfach sein, sie wieder einzufangen. Dabei geht es, wie manche hymnische Reaktion zeigt, beileibe nicht nur um europäische Angelegenheiten: für manchen, der die repräsentative, parlamentarische Demokratie schon immer für einen defizitären Modus der „Volksherrschaft“ hielt, ist das Tor zu einer anderen, zu einer stärker plebiszitär ausgerichteten Republik von höchster Stelle, also nicht nur intellektuell, endlich aufgestoßen worden.

          Die Frage ist, was damit gewonnen sein soll. Was die Europäische Union angeht, wird das Grundgesetz unbestritten als „integrationsfreundlich“ angesehen. Es verwendet in seiner Präambel sogar die Formulierung von einem „Vereinten Europa“ (das V ist tatsächlich großgeschrieben), was, zugegebenermaßen, ein kühner Vorgriff auf die Zukunft war. Die heute bis zum Fanatismus gesteigerten Bedenken gegen weitere Integrationsschritte widersprechen diametral dem historisch-politischen Entwurf, der den Vätern und Müttern des Grundgesetzes einst vor Augen stand. Übrigens: So weit, dass die Nationalstaaten bereit wären, sich wie ein Stück Zucker im europäischen Kaffee auflösen zu lassen, ist es - ein Seitenblick auf Frankreich genügt - noch lange nicht.

          Sicher ist dagegen, dass die Aussicht auf eine Volksabstimmung über eine neue Verfassung viele Begehrlichkeiten hervorrufen würde. Wer kann glauben, dass diese Debatte sich dadurch befrieden ließe, dass in das Grundgesetz nur ein zusätzlicher Europa-Artikel eingefügt und zur Abstimmung gestellt würde? Wo wäre die Grenze zu ziehen zu weiteren, durchaus ehrenwerten Wünschen nach einer Ergänzung oder Erweiterung der Verfassung? Diese Büchse der Pandora sollte besser geschlossen bleiben.

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