Vertrag mit Muslimen : Hamburg will islamische Feiertage wie kirchliche behandeln
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„Kooperatives Miteinander“: Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (rechts) mit dem Ditib-Vertreter Zekeriya Altug. Bild: dpa
Als erstes Bundesland will Hamburg Rechte und Pflichten islamischer Religionsgemeinschaften in einem Vertrag regeln. Dies betrifft unter anderem Schulfrei an islamischen Feiertagen, Religionsunterricht oder Bestattungsrituale. Bürgermeister Scholz bezeichnet den Vertrag als eine „Selbstverständlichkeit“.
Nach fünf Jahren sind die Verhandlungen zwischen der Stadt Hamburg und drei islamischen Verbänden sowie der Alevitischen Gemeinde in Deutschland über einen gemeinsamen Vertrag erfolgreich abgeschlossen worden. Danach sollen an staatlichen Schulen künftig auch muslimische Lehrer das Fach Religion unterrichten dürfen. Der Hamburger Religionsunterricht ist überkonfessionell angelegt, wird aber von der evangelische Kirche verantwortet. Das soll so bleiben, allerdings unter Einbeziehung muslimischer Lehrer.
Der Vertrag sieht außerdem vor, dass einige muslimische Feiertage (das Opferfest, Ramadan und Aschura) künftig in Hamburg wie kirchliche Feiertage behandelt werden. Arbeitnehmer haben dann ein Recht auf einen freien Tag, müssen die Zeit aber nacharbeiten oder Urlaub nehmen. Weiterhin regelt der Vertrag in der Stadt schon übliche Praktiken, etwa die sarglose Bestattung von Muslimen auf Hamburger Friedhöfen. Außerdem werden Fragen der Hochschulausbildung, der religiösen Betreuung in besonderen Einrichtungen, der Bau von Gebetsstätten und die Gewährleistung von Vermögensrechten thematisiert.
Scholz: Eine Selbstverständlichkeit
Der Vertrag, der in Deutschland ohne Vorbild ist, könnte im nächsten Jahr in Kraft treten. Zunächst muss der Senat darüber entscheiden, anschließend die Bürgerschaft. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sagte, der Vertrag sei eine Selbstverständlichkeit. Über die genaue Ausgestaltung des Religionsunterrichts muss allerdings weiterverhandelt werden, der Vertrag gibt dafür fünf Jahre Zeit.
Aus Sicht der Muslime handelt es sich bei dem Hamburger Modell nicht um einen vollwertigen, sondern nur um einen religionskundlichen Unterricht, weil dort auch Lehrer anderer Konfessionen unterrichten. Scholz äußerte die Hoffnung, dass es dennoch bei dem Hamburger Modell bleibt und eine Übereinkunft erzielt werden kann. Gleichwohl hob er das im Grundgesetz verankerte Recht hervor, nach dem Religionsgemeinschaften den Religionsunterricht selbst bestimmen und einen rein muslimischen Unterricht fordern könnten. „Wenn muslimische Verbände zu einer entsprechenden Entscheidung kommen, dann ist das eben so“, sagte Scholz.
Hamburg will sich zudem dafür einsetzen, dass die muslimischen Verbände auch einen Sitz in den Rundfunkgremien erhalten. Finanzielle Leistungen sind mit dem Vertrag nicht verbunden. Der Vertrag beginnt mit einem Bekenntnis zu gemeinsamen Werten, darunter auch zur Gleichberechtigung der Frau. Nicht geregelt ist allerdings, ob eine muslimische Religionslehrerin Kopftuch tragen darf. Scholz dazu: „Das religiöse Bekenntnis ist frei. Die bisherige Praxis bei uns hat sich bewährt.“ Es gibt in Hamburg kein Kopftuchverbot. Auch bei Detailfragen bleibt weiterhin die Entscheidung den Betroffenen überlassen, etwa bei der Teilnahme von muslimischen Mädchen am Schwimmunterricht oder an Klassenfahrten.
Vertragspartner der Stadt Hamburg sind der Landesverband der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB), der Rat der Islamischen Gemeinschaften (Schura), der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) sowie die Alevtische Gemeinde Deutschland.
Lange Zeit war umstritten, ob es für den Staat auf muslimischer Seite überhaupt einen Ansprechpartner für Verhandlungen gäbe, da die Verbände nicht als Religionsgemeinschaften anerkannt waren. Wegen dieser Frage hatten sich die Verhandlungen in die Länge gezogen. Die Stadt gab mehrere Gutachten in Auftrag, die den Verbänden den Status von Religionsgemeinschaften bescheinigten. Der Vertrag soll zunächst über zehn Jahre geschlossen werden.
„Ein wichtiger Schritt“
Angeregt worden waren die Verhandlungen noch von Bürgermeister Ole von Beust (CDU). Vorbilder waren die 2005 geschlossenen Verträge mit der katholischen und der evangelischen Kirche sowie 2007 mit der jüdischen Gemeinde. Daniel Adin von der Schura sprach von einem „wichtigen Schritt hin zur auch institutionellen Anerkennung des Islam in Deutschland“.
Die Verhandlungen in Hamburg hätten sich wohltuend von Debatten anderswo über den Islam unterschieden. Murat Pirildar vom VIKZ lobte, der Vertrag ermögliche eine stärkere Partizipation der Muslime am gesellschaftlichen Leben. Aziz Alsandemir von der Alevitischen Gemeinde betonte, in ihrer Heimat Türkei hätten die Aleviten nicht die Rechte, die ihnen in Hamburg zugebilligt würden. Die drei Verbände vertreten etwa 130 000 Muslime in Hamburg. Die beiden alevitischen Gemeinden in der Hansestadt haben etwa 50 000 Mitglieder.
Probephase für den Religionsunterricht
Für den gemeinsamen Religionsunterricht an staatlichen Schulen ist festgelegt, dass sich die evangelische Kirche und die muslimischen Gemeinden gleichberechtigt die Verantwortungen für dieses Fach teilen. Unterrichten dürfen dann auch Muslime, die das zweite Staatsexamen haben, sagte Daniel Abdin von der Schura. Beim Thema Religionsunterricht legten die Vertragspartner eine fünfjährige Probephase fest. Finanzielle Förderungen sind nicht Teil des Vertrags.
Die katholische und die evangelische Kirchen begrüßten die vorgestellten Vereinbarungen. Auch die CDU-Fraktion befürwortet den Vertrag. Jedoch gebe es noch eine Reihe von Detailfragen, die vor einem endgültigen Beschluss geklärt werden müssten, hieß es. Die FDP teilte mit, der Vertrag sei unnötig, weil die meisten Aspekte längst auf andere Art geregelt seien. Viele Punkte seien zudem unpräzise formuliert.
Islamischer Religionsunterricht in Deutschland
Dass sich die einheitliche Einführung eines islamischen Religionsunterrichts in Deutschland so kompliziert gestaltet, liegt am Grundgesetz. Artikel 7 Absatz 3 legt fest, dass Religionsunterricht „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ erteilt wird. Damit eine religiöse Vereinigung als Religionsgemeinschaft anerkannt werden kann, muss sie bestimmten Ansprüchen genügen, etwa Jugend- und Sozialarbeit betreiben und eine ausreichend große Anzahl von Gläubigen repräsentieren.
Das entspricht nicht der Organisationsstruktur des Islams in Deutschland, die keine einheitliche Vertretung aller Muslime kennt und stattdessen aus einer heterogenen Sammlung von Verbänden unterschiedlicher Richtungen besteht.
Eine zentrale Vertretung aller Gläubigen entspricht nicht den traditionellen Glaubensgrundsätzen des Islams. Außerdem erschweren die konfessionellen und ethnischen Unterschiede innerhalb der islamischen Glaubensgemeinschaft in Deutschland eine Vereinheitlichung. Deswegen gibt es zwar in allen Bundesländern islamischen Religionsunterricht in irgendeiner Form, doch die Länder behelfen sich meist mit Kompromissmodellen.
Die Anerkennung der drei islamischen Verbände als Religionsgemeinschaften ist bundesweit bisher einzigartig, ebenso wie das Hamburger Modell eines konfessionsübergreifenden Religionsunterrichts, an dessen Gestaltung die islamischen Verbände nach Unterzeichnung des Vertrags mitwirken sollen. Auch Hessen erwägt, zwei islamische Verbände als Religionsgemeinschaften anzuerkennen und vom Schuljahr 2013/14 an Islamunterricht anzubieten.
In Nordrhein-Westfalen, wo zum Schulbeginn in der kommenden Woche erstmalig schrittweise ein einheitlicher islamischer Religionsunterricht an den Grundschulen eingeführt wird, hat die Landesregierung in Zusammenarbeit mit islamischen Verbänden einen Beirat gebildet, der für eine Übergangsperiode die offizielle Religionsgemeinschaft als Ansprechpartner des Staates ersetzen soll und damit die Kontrolle über den Lehrplan und die Auswahl der Lehrkräfte erhält.
Verfassungsrechtler geben zu bedenken, dass die Hälfte der Beiratsmitglieder vom Schulministerium ernannt werde. Weil dieser Beirat gleichzeitig als Repräsentant einer Glaubensgemeinschaft fungiere, berühre die Regelung die verfassungsmäßige Trennung von Kirche und Staat.
In anderen Bundesländern, etwa in Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern gibt es keinen bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht, sondern stattdessen das Fach „Islamkunde“, das muslimischen Schülern theoretische Informationen über ihre Religion, aber keine aktive Glaubenspraxis vermittelt.
In Berlin bietet seit dem Schuljahr 2002/03 die islamische Föderation, ein Dachverband islamischer Vereine, Religionsunterricht an Schulen an. Einige der Mitgliedsvereine werden allerdings vom Verfassungsschutz beobachtet. (lspr.)