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Verhältnis von CDU und CSU : Politisches Pygmäentum

  • -Aktualisiert am

Ganz dicke: Helmut Kohl und Franz Josef Strauß 1976 in Bonn. Bild: dpa

Steht es vor dem Treffen der Koalitions- und Unionsspitzen wirklich so schlecht um das Verhältnis zwischen CSU und CDU? Es ging doch einst sehr viel rauer zu.

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          Vor dem Treffen der Koalitions- und Unionsspitzen in Berlin zur Flüchtlingspolitik wird geraunt, das Verhältnis zwischen CDU und CSU sei zerrüttet – namentlich zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer. Doch ein Rückblick zeigt, dass es noch vergleichsweise herzlich und einvernehmlich zwischen den Unionsschwestern zugeht. Kein Wort von „politischen Pygmäen“, wie Franz Josef Strauß 1976 in der legendären Wienerwald-Rede – er sprach in der Münchner Hauptverwaltung des Hendl-Konzerns zu Jungunionisten – CDU-Abgeordnete beschrieb, die nur um ihre Wahlkreise bangten. Kein Wort von „Zwergen im Westentaschen-Format“, wie eine weitere Charakterisierung aus Straußens Munde für die Mitstreiter von der CDU lautete. Keine bibliophilen Anspielungen über „Reclam-Ausgaben von Politikern“, in denen sich das Sortiment der CDU erschöpfe.

          Es war eine aufgewühlte Zeit: Die Union hatte im Oktober 1976 bei der Bundestagswahl fast eine eigene Mehrheit erreicht. Aber es reichte nicht, um die SPD/FDP-Koalition abzulösen. Strauß, dessen CSU in Bayern sechzig Prozent der Stimmen eingefahren hatte, begab sich auf den Kriegspfad. Im November 1976 beschloss die in Wildbad Kreuth tagende CSU-Landesgruppe im Bundestag, die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU zu kündigen. Von nun an herrschte Krieg zwischen beiden Parteien, der allerdings nicht lange währte. Die „politischen Pygmäen“ erwiesen sich als äußerst kampfeslustig. Der Bundesvorstand der CDU forderte die CSU barsch auf, bis zur konstituierenden Sitzung des Bundestags zurück zur Fraktionsgemeinschaft zu finden – sonst werde die CDU einen Landesverband in Bayern gründen. Es blieb nicht bei Worten: In München wurden Emissäre des CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl gesichtet, die sich schon nach einer Immobilie für eine bayerische CDU-Filiale umschauten.

          Kohl – ihn als rotes Tuch für Strauß zu bezeichnen, wäre in dieser Zeit eine starke Untertreibung gewesen und natürlich auch nach der politischen Farbenlehre völlig unpassend – werde nie Kanzler werden, ereiferte sich Strauß in der Hendl-Zentrale. Dort lief, was Strauß nicht wusste, ein Tonband mit; die CSU war schon vor der digitalen Revolution eine transparente Partei. Kohl, der die Union in den Bundestagswahlkampf 1976 geführt hatte, sei „total unfähig“, polterte Strauß; dem Konkurrenten fehlten die „charakterlichen, die geistigen und die politischen Voraussetzungen“ für die Aufgaben eines Kanzlers. Strauß war sich ganz sicher, wie Kohl enden würde: als greiser Memoirenverfasser, der auf vier Jahrzehnte als erfolgloser Kanzlerkandidat zurückblicken werde. Möglicherweise werde Kohl das letzte Kapitel in Sibirien verfassen. Die Geschichte verlief dann ein wenig anders: Es war Strauß, der im Kandidatenmodus blieb.

          Der Kreuther Trennungsbeschluss selbst war schon im Dezember 1976 Geschichte; die CSU ging wieder die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU ein, mit gestärkten Befugnissen als Tröstung. So herrlich rauflustig ging es zwischen den Unionsparteien danach nie mehr zu; in der CSU wurde nur noch intern versucht, zu Straußens Schimpfhöhen aufzusteigen – etwa wenn Seehofer 2012 dem nachdrängenden Markus Söder „zu viele Schmutzleien“ vorhielt. Oder wenn Seehofer den gefallenen Parteiheros Karl-Theodor zu Guttenberg als „Glühwürmchen“ klassifizierte. Gegenüber der CDU wurde bürgerliche Umgangsformen gepflegt, selbst als Angela Merkel 2004 aus Sicht der CSU von einem bösen neoliberalen Virus befallen wurde und in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Kopfpauschale einführen wollte. Kopfpauschale – das hätte zur Fortführung der politischen Ethnologie Straußens einladen können; doch Seehofer, dessen Gegenwehr gegen eine solche Einheitsprämie zunächst erfolglos blieb – er trat als stellvertretender Fraktionsvorsitzender zurück –, enthielt sich jeder ethnologischen Vergleiche.

          Drohungen, die auch ein Dementi ermöglichen

          Der Kreuther Geist, wie Trennungsgelüste der CSU seit 1976 genannt werden, blieb in der Flasche – die Kopfpauschale allerdings auch, sie wurde nie Gesetz. Es wurde zwar immer wieder demonstriert, dass CDU und CSU unterschiedliche Parteien sind – mal eher pflichtgemäß, mal mit mehr Begeisterung. 2008 hielt Merkel die CSU-Kurzzeit-Regenten Günther Beckstein und Erwin Huber, die sich von der Wiedereinführung der Pendlerpauschale ab dem ersten Kilometer Aufwind bei der Landtagswahl versprachen, kühl auf Distanz. Unvergessen, wie Beckstein und Huber nach einer gemeinsamen Sitzung der beiden Parteipräsidien in Erding neben Merkel wie Schüler standen, die hofften, von der Lehrerin wider Erwarten doch das Versetzungszeugnis zu erhalten. Dennoch verboten sie sich jedes böse Wort – an ethnologische Vergleiche war gar nicht zu denken – und marschierten unverdrossen ihrem Wahldebakel entgegen.

          Ihr Nachfolger Seehofer brillierte in der schier unendlichen Geschichte der Euro-Rettung zwar mit kunstvollen Sätzen, die sie als Androhung eines Bruchs verstehen ließen, aber auch das darauf folgende Dementi ermöglichten. „Irgendwann“ könne ein Punkt erreicht sein, „wo die Staatsregierung und auch die CSU nicht mehr ja sagen können.“, ließ Seehofer 2012 wissen – beim Irgendwann blieb es auch. Merkel stand Seehofer nicht nach: Ihr Satz „Mit mir wird es keine PKW-Maut“ geben, musste so verstanden werden, dass es mit Seehofer sehr wohl eine solche geben werde, zumindest im Koalitionsvertrag.

          Das Fazit ist eindeutig: Der Stil der unionsinternen Auseinandersetzung ist seit 1976 verfeinert worden. Herrlich, wie vor dem Berliner Gesprächen lanciert wurde, die CSU könne ihre Minister aus Merkels Kabinett abziehen – und Seehofer auf entsprechende Fragen einfach schwieg. Herrlich auch, wie Merkel die freundliche Aufforderung aus Bayern, sie möge dem österreichischen Kanzler Werner Faymann den Kopf waschen, mit der Bemerkung konterte, die Berliner sei mit der Wiener Regierung im täglichen Kontakt. Keine Frage: Strauß hätte sicher erwidert, dann wisse er ja, warum Faymann immer einen frisch geföhnten Eindruck hinterlasse.

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